UN-Gipfel zur Welternährungskrise: «Größter Skandal der Menschheit»
Der UN-Gipfel zur Welternährungskrise in Rom hat in den Medien ein vornehmlich kritisches Echo hervorgerufen. Die meisten Journalisten suchen nach Schuldigen - andere sehen den Lebensmittelmangel sogar als Chance.
«Der Standard» (Österreich): Gutmenschen ohne Wirkung
In der illustren Runde, die sich beim Treffen der Welternährungsorganisation FAO eingefunden hat, dominieren die Weltverbesserer, deren Vorstellungen ebenso hehr wie unzureichend sind. Mehr Mittel für Notprogramme helfen zwar unbestrittenermaßen, die herbeigesehnte Wende kann dadurch aber nicht eingeleitet werden.
Dazu sind schon tiefere Schnitte notwendig, die freilich unpopulärer sind als das Aufdrehen des Geldhahns. Über die haben weder UN-Generalsekretär Ban Ki Moon noch Papst Benedikt XVI. noch andere Gutmenschen ein Wort verloren. Wirkungsvolle Maßnahmen würden das Eingestehen von Fehlern in den letzten Jahrzehnten voraussetzen, doch davon scheint man weit entfernt zu sein. Die Defizite sind nämlich ziemlich breit gestreut und betreffen alle involvierten Staaten und Interessengruppen: den Westen, die Entwicklungsländer und die Hilfsorganisationen.
«Dagens Nyheter» (Schweden): Lebensmittelkrise als Chance
Die Nahrungsmittelkrise trifft vor allem die ärmsten Menschen hart. Gleichzeitig aber eröffnet sie auch Möglichkeiten für eine effektivere Landwirtschaft. (...) Zur Eröffnung des Welternährungs-Gipfels in Rom hat UN-Generalsekretär Ban Ki Moon erklärt, es gebe jetzt eine historische Chance auf weltweit höhere Erträge für die Landwirtschaft. Lange Zeit war die Agrarproduktion von ungesunden Subventionen geprägt. Die Zuschüsse der reichen Länder an eigene Bauern hat einen Weltmarkt geschaffen, der von Dumpingpreisen für eigene Produkte der Reichen bestimmt war. (...) Entscheidend wird jetzt, welchen Weg die Handelspolitik global einschlägt.
Ein freier Welthandel wäre einer der besten Wege zur Verbesserung der Lage. Leider haben einige Staaten in letzter Zeit Exportrestriktionen und Preisstopps eingeführt, um sich vor Versorgungsengpässen zu schützen. Wenn die Preissignale jetzt nicht durchschlagen, verzögert sich die notwendige Umstellung der Landwirtschaft.
«Kölnische Rundschau»: Auch die Europäer sind schuld
Es gehört zu den größten Skandalen der Menschheitsgeschichte, dass im 21. Jahr hundert 860 Millionen Menschen Hunger leiden - also rund jeder achte Erdenbürger. Die Ursachen sind vielfältig. Da gibt es gewissenlose Diktatoren wie den Präsidenten Simbabwes, den Klimawandel und Naturkatastrophen. Da gibt es aber auch reiche Länder wie die der EU, die zur Stützung ihrer Wirtschaft mit vom Steuerzahler herunter subventionierten Lebensmitteln Agrarzweige in der Dritten Welt kaputt konkurrieren. Auf Kosten der Ärmsten der Armen. Eine Schande und ein Skandal im Skandal.
Langfristig ist den Armen nur gedient, wenn sie zur Selbsthilfe befähigt werden und faire Handelsbedingungen erhalten. Die Lösung der Hungerkrisen ist in erster Linie ein Gebot der Menschlichkeit, aber auch eins des Selbstschutzes. Soll die Zahl der Elendsflüchtlinge nicht auf ein auch westliche Gesellschaften sprengendes Maß steigen, ist effektive Vorsorge nötig.
«Le Monde» (Frankreich): Präsidenten Simbabwes provoziert
Die Anwesenheit Robert Mugabes auf dem UN-Gipfel zur Welternährungskrise grenzt an Provokation. Sein Land, das früher die Kornkammer des südlichen Afrikas war, produziert heute nur noch etwa die Hälfte des im Land benötigten Getreides. Die Bevölkerung hungert und flüchtet ins Ausland. (?) Die Anwesenheit Mugabes in Rom sollte über Empörung hinaus Gelegenheit bieten, den internationalen Druck auf ein Land zu verschärfen, wo Nahrungsmittelknappheit und Autokratie in einen Bürgerkrieg auszuarten drohen.
«La Stampa» (Italien): Keine Verantwortliche für historisches Versagen
Wenn etwas Klares aus dem Nebel des Gipfeltreffens in Rom hervorgedrungen ist, dann ist es, dass die neue Lebensmittelkrise weder einen einzigen Verantwortlichen noch eine einzige Lösung hat. Es ist nicht alles Schuld der üblichen reichen Länder, denn die Preisexplosion bei Getreide ist hauptsächlich durch den gestiegenen Lebensstandard von weiten Teilen der asiatischen Bevölkerung ausgelöst worden: Chinesen und Inder können sich endlich mit mehr Proteinen ernähren und um diese zu produzieren, essen sie viel mehr Getreide als früher. (...)
Es handelt sich um ein echtes historisches Versagen: 1996 hatte sich die FAO das Ziel gesetzt, bis 2015 die damals 800 Millionen Hungernden auf der Welt um die Hälfte zu reduzieren. Heute liegt die Zahl bereits bei 850 Millionen. Und es ist auch nicht alles Schuld der FAO, auch wenn der schwächsten und ineffizientesten Organisation der Vereinten Nationen eine gewisse Verantwortlichkeit zugeschrieben werden muss.
«De Volkskrant» (Niederlande): Keine Illusionen über Konsumverhalten
Die Nachfrage nach Nahrungsmitteln nimmt nur zu, sowohl durch das steigende Lebensniveau in Ländern wie China und Indien als auch durch das Wachstum der Weltbevölkerung. (...) Es ist besser, keine großen Illusionen über eine Verminderung des Konsums zu haben, ob es nun um Fleisch oder um Autos geht. Eine Illusion wäre es auch, zu erwarten, dass Länder wie China oder Brasilien auf ihren berechtigten Teil am Wohlstand verzichten. Ob sie ihre Wälder stehen lassen, wird davon abhängen, welchen Ausgleich die reichen Länder ihnen dafür bieten.
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