Umbruch vollzogen: Die Grünen befinden sich im Aufwind

Die Ökopartei steht so gut da wie lange nicht mehr, weil sie sich erneuert und doch ihre Identität behält – eine Analyse.
von  Martin Ferber
Annalena Baerbock und Robert Habeck.
Annalena Baerbock und Robert Habeck. © Bernd von Jutrczenka/dpa

Berlin - So viel Gemeinsamkeit war schon lange nicht mehr. Für viele Mitarbeiter in der Parteizentrale der Grünen ist das eine völlig neue Erfahrung. Es ist noch gar nicht so lange her, da lief ein tiefer Riss durch das Haus, der es in zwei Hälften teilte.

Auf der einen Seite saßen Cem Özdemir und seine Realos, auf der anderen Simone Peter und ihre Fundis. Man sprach, wenn überhaupt, nur das Nötigste miteinander, ansonsten war man sich in gegenseitiger Ablehnung verbunden. Der strenge Flügel-Proporz war gewahrt, doch er lähmte die Partei.

Und heute? Den Riss gibt es nicht mehr. Die beiden neuen Parteichefs Robert Habeck und Annalena Baerbock gehören nicht nur dem Realo-Lager an, sondern haben auch die bislang getrennten Chef-Büros zu einem einzigen Gemeinschaftsraum zusammengelegt und haben zudem zum ersten Mal in der Geschichte eine Grundsatzabteilung ins Leben gerufen, die als "Herz und Kopf" der Bundesgeschäftsstelle die programmatische Arbeit voranbringen soll.

Das Erstaunlichste: Es funktioniert. Mit Habeck und Baerbock haben die Grünen nach dem schlechten Abschneiden bei der Bundestagswahl den Generationenwechsel vollzogen und zwei Gesichter an die Spitze gewählt, die ebenso unideologisch wie eloquent sind, weniger moralisierend als ihre Vorgänger auftreten, Debatten anstoßen und für einen neuen Sound in der Partei sorgen. Und das hat Folgen. Die Grünen stehen so gut da wie schon lange nicht mehr, in einer aktuellen Emnid-Umfrage liegen sie bei 14 Prozent, nur noch vier Punkte hinter der SPD. Und bei den Landtagswahlen in Bayern könnten sie hinter der CSU zweitstärkste Kraft im Landtag werden, noch vor SPD und AfD.

Als Oppositionspartei haben es die Grünen leichter als die SPD

Ein Stück weit profitieren die Grünen dabei auch von der Schwäche aller anderen. Nur die FDP ist mit Partei- und Fraktionschef Christian Lindner ähnlich gut aufgestellt.

Dagegen liegen bei CDU und CSU nach dem Streit um die Flüchtlingspolitik noch immer die Nerven blank, in der SPD hat Andrea Nahles noch nicht wirklich an Profil gewonnen und in der Linken ist das Führungsquartett heillos zerstritten. Im linken Lager des Parteienspektrums sind somit die Grünen derzeit die Einzigen, die nicht nur ihre Personalfragen geklärt haben, sondern auch über eine klare politische Agenda verfügen. Ihre Kernthemen wie Umwelt- und Klimaschutz, Agrar- und Verkehrswende sind unverändert aktuell, in der Flüchtlingspolitik stehen sie gegen Abschottung, wofür sie von Teilen des rechten Parteienspektrums heftig angefeindet werden, was aber die eigenen Reihen schließt. Als Oppositionspartei im Bund tun sie sich allerdings auch deutlich leichter als die SPD, die ihre Prinzipien und das Regierungshandeln unter einen Hut bringen muss.

Wie ernst die SPD die Bedrohung durch die gefestigten Grünen nimmt, belegen die Äußerungen von Parteichefin Andrea Nahles. In der Tat kommt darin das Dilemma der Sozialdemokratie zum Ausdruck: Nachdem ihnen Bundeskanzlerin Angela Merkel die eine Hälfte der Themen weggenommen hat, sind nun die Grünen dabei, ihnen die andere Hälfte abzunehmen.

Auch da könnte die SPD von den Grünen lernen. Es reicht nicht nur, das Personal an der Spitze auszutauschen. Es muss dabei auch etwas Neues herauskommen. Robert Habeck und Annalena Baerbock zeigen gerade, wie man’s macht, ohne dabei die grüne Identität aufzugeben.

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