Um Angela Merkel wird es einsam

In einer hitzigen Fraktionssitzung wird die Kanzlerin „streckenweise vorgeführt“. Inzwischen kehrt jeder Fünfte der Chefin den Rücken. Hans-Peter Uhl (CSU) stellt sogar ihre Regierungsfähigkeit in Frage
von  Tobias Wolf
Kanzlerin Angela Merkel will Deutschlands Grenzen weiterhin offen halten. Das stößt bei vielen Unions-Abgeordneten auf Unverständnis.
Kanzlerin Angela Merkel will Deutschlands Grenzen weiterhin offen halten. Das stößt bei vielen Unions-Abgeordneten auf Unverständnis. © dpa

Berlin - Die Luft wird dünn für Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der drei Seiten lange Brandbrief von 34 CDU-Funktionären (AZ berichtete) weitet sich zu einem Kettenbrief mit 126 Unterzeichnern aus. Darunter sind inzwischen auch 38 Landtagsabgeordnete. Jeder Fünfte folge dem Flüchtlingskurs der Kanzlerin nicht mehr, heißt es aus Unionskreisen. Besonders deutlich wird der bröckelnde Rückhalt seit einer Fraktionssitzung am Dienstagabend.

Bei dem Treffen, das Teilnehmer als „denkwürdig“ bezeichnen, kommt es zu hitzigen Debatten um die Flüchtlingspolitik. Kernpunkt der Streitigkeiten: Die Merkel-Gegner fordern eine Obergrenze für die Zahl der Asylbewerber. Ihr Vorschlag: die Grenzen für Flüchtlinge, die aus sicheren Drittstaaten nach Deutschland kommen, zu schließen.

Doch die CDU-Chefin verteidigt ihre Haltung und fragt rhetorisch in die Runde: „Glaubt hier jemand ernsthaft, dass wir Flüchtlinge an der Grenze zurückweisen können?“ Laut anderen Teilnehmern hätten daraufhin gleich mehrere Abgeordnete „Ja“ gerufen und damit auch noch Applaus ausgelöst.

Die Kanzlerin argumentiert, dass wenn Deutschland Flüchtlinge zurückweise, würden Österreich und andere EU-Länder unmittelbar dasselbe tun. Dadurch würden sich die Asylsuchenden wieder in den Balkan-Ländern stauen.

Zahlreiche Abgeordnete halten dagegen. „Wir dürfen nicht die weiße Fahne hissen“, sagt der CDU-Innenpolitiker Clemens Binninger, dem von Sitzungsteilnehmern bescheinigt wird, er habe Bundeskanzlerin Angela Merkel „streckenweise vorgeführt“, berichtet die „Welt“. Merkels Argument, Deutschland könne seine Grenze nicht schützen, will er nicht stehenlassen. Andere Länder könnten dies auch: So sei Polen in der Lage, alle illegalen Einwanderer abzuweisen.

 

Online-Petition mit über 171 000 Unterschriften fordert Merkels Rücktritt

 

„So kann es nicht weitergehen“, sagt der CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl zur AZ am Tag nach der Sitzung. „Wer kontrolliert, muss auch zurückweisen können.“ Er betont, der Schutz der eigenen Grenze sei eine „Kernaufgabe einer Regierung“. Und: „Wenn eine Regierung das Volk nicht mehr schützen will oder kann, dann wird sie abgewählt.“

Uhl geht sogar so weit, langfristig die Regierungsfähigkeit in Frage zu stellen. Er kritisiert, Merkel habe sich in der Flüchtlingskrise „viel zu sehr auf die Außenpolitik fokussiert“.

Trotz der aufgeheizten Stimmung hat die Fraktion das Asylpaket, das heute im Bundestag verabschiedet werden soll, gebilligt. Es enthält Verschärfungen des Umgangs mit Asylbewerbern, aber auch Verbesserungen der Integration.

Doch nicht nur in der Union nimmt die Kritik an Merkel zu. Eine Online-Petition, die den Rücktritt der Kanzlerin und sofortige Neuwahlen fordert, hat bereits über 171 000 Unterschriften gesammelt.

Die Begründung der Petition im Wortlaut:

„Frau Merkel handelt unverantwortlich nicht nur Deutschland gegenüber, sondern auch der EU und ganz Europa. Sie setzt Gesetze außer Kraft, ohne die Folgen zu bedenken. Sie und Ihre Regierung sind nicht mehr Herr der Lage und somit weder fähig Deutschland zu regieren noch bei für die EU relevanten Belange, weitreichende Entscheidungen zu treffen.“

Das schlägt sich auch in der Wählergunst nieder. Wäre am Sonntag Bundestagswahl, kämen CDU/CSU im neuen INSA-Meinungstrend auf 38 Prozent. Das ist ein Punkt weniger als in der Vorwoche und der tiefste Stand seit der Bundestagswahl 2013. INSA-Chef Hermann Bunkert erklärt in der „Bild“: „Durch ihre Flüchtlingspolitik verliert Bundeskanzlerin Angela Merkel Vertrauen. Der Vertrauensverlust der Kanzlerin schwächt die Union.“

Noch aber steht die Mehrheit der Union hinter Merkel. Besonders die Fraktionsspitzen sind darum bemüht, die Wogen zu glätten. Fraktionsvize Thomas Strobl erklärt im ZDF-Morgenmagazin: „Wir dürfen doch auch einmal in der Sache diskutieren, ohne dass man dann gleich Bundeskanzlerin Angela Merkel in Frage stellt.“

Der CDU-Abgeordnete Wolfgang Bosbach sagt bei N24: „Die Kanzlerin kann sich auf die CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht zu 80 Prozent verlassen, sondern zu 100 Prozent.“ Es sei nicht zu erwarten, dass Merkel ihre Linie in der Flüchtlingspolitik korrigiere.

Auch die Befürworter von Merkels Kurs haben einen Brief aufgesetzt. Unter dem Motto „Wir schaffen das!“ haben 120 CDU-Politiker das Dokument unterzeichnet. „Stacheldraht ist keine Lösung für Menschen, die in größter Not ihr Land verlassen haben. Wir brauchen keine neuen Mauern, sondern mehr Gerechtigkeit und Solidarität weltweit“, heißt es darin unter anderem.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.