Twitter im Bundestag: Das Zwitscher-Parlament
BERLIN - Viele Abgeordnete twittern und beleben so die Politik – doch jetzt bekommen sie Ärger mit ihren eigenen Leuten. Die wollen nicht mehr hinnehmen, dass aus internen Sitzungen geplaudert wird.
Alte Protokoll-Etikette hier, moderne Medien dort – die „Twitteraffäre“ rund um die Bundespräsidentenwahl zeigt einen Riss quer durch den Bundestag. Gestern beschäftigte sich sogar der Ältestenrat mit der Frage, wie es Abgeordnete künftig beim Twittern aus Sitzungen halten sollen. Gemessen an dem sonstigen Mitteilungsausstoß vieler Abgeordneter blieb es aber zunächst überraschend still: Kein Tweet (so heißen die Twittermeldungen) drang bis Nachmittag nach draußen.
Die Aufregung hatte sich am vergangenen Samstag bei der Bundespräsidentenwahl entzündet: Mehrere Bundestagsabgeordnete twitterten das Wahlergebnis schon in die Welt, bevor die Mitglieder der Bundesversammlung offiziell davon erfuhren. Beteiligt unter anderem: die CDU-Abgeordnete Julia Klöckner. Sie twitterte sogar aus der Kommission heraus, die die Stimmen bei der Wahl zählte. Inzwischen gab sie ihr Amt als Schriftführerin des Parlaments auf.
Hohe Wellen schlägt die neue Twitterbegeisterung bei vielen Abgeordneten jedoch vor allem in der SPD. Dort hatte sich diese Woche Fraktionschef Peter Struck mit massiver Kritik an seinem Vize Ulrich Kelber gemeldet: „Selbst ein stellvertretender Fraktionsvorsitzender entblödet sich nicht rumzutwittern“, raunzte Struck. Gestern legte Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann noch einen drauf: Abgeordneten soll es künftig verboten werden, aus internen Sitzungen zu twittern. Oppermann: „Wir müssen das in Zukunft verhindern.“
In die Schusslinie geriet bei den Genossen unter anderem die Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm. Sie hatte aus SPD-Sitzungen nicht sonderlich spektakuläre Interna wie „Steinbrück wirbt für Schuldenbremse“ getwittert. Gestern gab sie sich kampfeslustig: „Da habe ich ja etwas ausgelöst. Donnerwetter! Ich twittere weiter.“
Andere twitternde Parlamentarier nahmen sich gestern eher etwas zurück – vorübergehend. Der ganze Streit sei auch ein Generationenkonflikt, hieß es in einem Abgeordnetenbüro. Die älteren Kollegen verstünden nicht so recht, was die ganze Twittersache überhaupt solle.
Lammert entschuldigt sich
Doch die Twitter-Affäre war nicht das einzige, was bei der Bundespräsidentenwahl für Aufregung sorgte. Während die Mitglieder der Bundesversammlung noch auf das Ergebnis warteten, kamen bereits Musiker herein, Blumen wurden gereicht. Spätestens dann war allen klar, dass es Horst Köhler bereits im ersten Wahlgang geschafft haben musste - ohne dass es eine offizielle Bekanntgabe des Ergebnisses gegeben hätte.
Die unterlegenen Fraktionen SPD und Grüne hatten sich darüber empört gezeigt. Gestern übernahm Bundestagspräsident Norbert Lammert die Verantwortung. Er wolle die Schuld für die organisatorischen Pannen nicht auf Mitarbeiter abschieben, sagte Lammert
mue/jox