TV-Duell: „Da hätte ich lieber Tatort geschaut“
Bei Cola und Keksen schauen 74 Wähler in der Uni München das Duell – beobachtet von zwei Forschern. Wer den politischen Schlagabtausch, der eigentlich gar keiner war, gewonnen hat, wird per Knopfdruck ermittelt.
Klick, klick, klick. An diesem Abend ist der Wählerwille ein Geräusch. Es ist Kanzlerduell. 74 Menschen sitzen dicht gedrängt in einem braun-getäfelten Hörsaal des Instituts für Kommunikationswissenschaft der LMU und lauschen dem Schlagabtausch. Sie sind Teil eines Forschungsprojekts: Wie bewerten die Menschen die Aussagen der Kandidaten? Mit einem kleinen weißen Kästchen geben sie ihre Meinung ab. Auf das Kästchen ist ein Dreh-Regler montiert. Ein Dreh nach links bedeutet Vorteil Steinmeier. Das Rädchen klickt. Ein Dreh nach rechts Vorteil Merkel. Klick. Per Funkverbindung sind die Regler mit einem PC verbunden, auf dem die Daten gesammelt werden.
„Wir brauchen Regeln für die internationalen Finanzmärkte“, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel. „Und eine klare Begrenzung der Managergehälter.“ Das zieht bei den Zuhörern, es klickt aus jeder Ecke. Es ist ein bisschen wie im Kino: Die Kandidaten flimmern über Leinwand, die Vorhänge sind zugezogen und das Licht ist gelöscht, draußen stehen Cola und Kekse. Das Publikum ist bunt gemischt: Es sind Rentner, Studenten, Angestellte, Merkel-Fans, Steinmeier-Anhänger und Unentschlossene.
Im Nebenraum sitzen hinter einer Glasscheibe Carsten Reinemann und Marcus Maurer. Die Professoren für Kommunikationswissenschaft starren gebannt auf ihren Laptop, auf dem langsam eine rote Fieberkurve von links nach rechts wächst. Am Ende dieses Abends werden sie zumindest grob sagen können, womit die Kandidaten punkten konnten. In Echtzeit sehen sie, welcher Satz völlig daneben geht, welches Argument die Zuhörer überzeugt.
Soviel ist schon mal klar: Manager-Schelte, Boni-Begrenzung und das Herumdrücken an der Tränendrüse der sozialen Gerechtigkeit funktioniert an diesem Abend am besten. Frank-Walter Steinmeier spricht über die Kassiererin, die wegen eines Pfandbons rausgeworfen wurde. Zack – der Ausschlag geht zugunsten Steinmeiers. Merkel legt nach, „sechs Monate Arbeit und für fünf Jahre Gehalt, das halte ich für unanständig“, sagt sie in Richtung des Ex-Arcandor-Chefs Eick. Auch hier: Plus für Merkel.
Seit 2002 erforschen Reinemann und Maurer die Kanzlerduelle. Ihre Erkenntnisse sind durchaus ernüchternd: „Allgemeinplätze werden positiver bewertet als konkrete Aussagen oder Kritik am Gegenüber“, sagt Marcus Maurer. Woran liegt das? „Eine allgemeine Aussage wie: ,Wir müssen mehr Steuergerechtigkeit schaffen’ kann erstmal jeder unterschreiben. Sagt man aber, man will Reiche stärker belasten, hat man schon mal die Reichen gegen sich.“
Tatsächlich bleibt das Duell inhaltlich vage. Merkel verspricht nebulös Steuerentlastungen und „mehr Netto vom Brutto“ - die Zuhörer in München nehmen ihr das offenbar nicht ab. Auch als Merkel sagt, sie will eine schwarz-gelbe Koalition, bleibt die Reaktion eher verhalten. Frank-Walter Steinmeier wiederum sammelt Minuspunkte, als er sich für seinen Umgang mit Ulla Schmidt in der Dienstwagenaffäre rechtfertigen muss. Ein Plus verzeichnet er dafür wieder bei Afghanistan: „Es ist unverantwortlich, jetzt kopflos rauszugehen, aber auf lange Sicht brauchen wir eine Perspektive.“
Wer nun genau gewonnen hat, das müssen Reinemann und Maurer in den nächsten Tagen erstmal genau analysieren. Fest stehen aber bereits die Gewinner-Sätze: „Wir brauchen ein neues Finanzsystem“, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel am meisten Punkte gebracht. „Wenn Menschen weiter so geringe Löhne bekommen, werden sie im Alter arm sein“, ist der Knallersatz von Frank-Walter Steinmeier.
Doch was bringen solche Duelle? Die Forscher sind überzeugt, dass sie am Wahltag tatsächlich ein paar Prozentpunkte plus oder minus ausmachen können. „Man darf ihre Bedeutung nicht unterschätzen“, sagt er. „Kandidaten können hier zaudernde und unentschlossene Wähler mobilisieren.“ Von denen gibt es in diesem Jahr extrem viele.
Am Ende des Abends in München sind sich die Zuhörer uneins: „Für mich hat Merkel gewonnen“, sagt die 71-jährige Maria Seichter. „Sie war ein bisschen souveräner.“ Monika Hutter ist ins Grübeln gekommen: „Ich habe immer Union gewählt, aber diesmal fand ich den Steinmeier viel besser. Er hat viel mehr Argumente gebracht“, sagt die 40-Jährige. „Das war doch nur Wischi-Waschi, überrascht hat mich keiner“, schimpft dagegen die 70-jährige Ursula John. „Da hätte ich lieber Tatort geschaut.“
Annette Zoch