Türkisch-syrischer Konflikt eskaliert

Istanbul/Moskau/Brüssel/Athen - Gerüchte über eine Öffnung der Grenzen in Richtung Europa haben in der Türkei Migranten in Bewegung gesetzt. Die Nachrichtenagentur DHA berichtete am Freitagmorgen von rund 300 Menschen, die sich auf den Weg zu einem Grenzübergang in Edirne gemacht hätten.
Andere kämen in der Provinz Canakkale zusammen, um per Boot auf die griechische Insel Lesbos und damit in die EU zu gelangen.
Im Sender TRT waren Szenen von Migranten zu sehen, die an einem Strand standen oder über Felder liefen. Das griechische Staatsfernsehen zeigte Menschen, die am Grenzübergang von Pazarkule warteten. Reporter berichteten, die Regierung in Athen habe Polizisten, Grenzschutzbeamte und Soldaten zusammengezogen.
Nach einem Luftangriff auf türkische Truppen im nordsyrischen Idlib mit mindestens 33 Toten waren in der Nacht plötzlich entsprechende Gerüchte aufgetaucht. In vielen Provinzen machten sich daraufhin Medien zufolge Migranten in Richtung Küstenprovinzen oder EU-Grenzübergängen auf den Weg.
Aus dem türkischen Außenministerium hieß es am Freitagmittag zwar: "In der Flüchtlings- und Migrationspolitik unseres Landes, das die meisten Flüchtlinge in der Welt aufgenommen hat, gibt es keine Änderung." Ministeriumssprecher Hami Aksoy warnte darin aber auch, dass die Migrationsbewegungen Richtung Außengrenzen "im Falle einer Verschlechterung der Situation" in Idlib zunehmen könnten.
Die Türkei beherbergt Millionen syrische Flüchtlinge und hat mit der EU ein Abkommen geschlossen, das sie unter anderem gegen Geldleistungen in der Türkei hält. Im syrischen Idlib nahe der türkischen Grenze versucht die Türkei seit Monaten, eine Waffenruhe durchzusetzen - auch aus Furcht vor einer neuen Migrationswelle. In der letzten Rebellenhochburg ist die Regierung mit russischer Hilfe auf dem Vormarsch.
Hunderttausende Menschen fliehen auch in Richtung türkische Grenze. Die Türkei hat hinsichtlich Idlib aber auch der Versorgung der Flüchtlinge in der Türkei bitter über mangelnde Hilfe der internationalen Gemeinschaft geklagt. Recep Tayyip Erdogan hat wiederholt gedroht, den Menschen die Grenzen zu Europa zu öffnen.
Angesichts der Eskalation des Konflikts zwischen der Türkei und Syrien kommt der Nordatlantikrat der Nato noch am Freitag zu einem Sondertreffen zusammen. Die Türkei habe um dieses Treffen unter Artikel 4 der Nato-Verträge gebeten, teilte das Militärbündnis am Freitag mit.
Artikel 4 besagt, dass jeder Alliierte jederzeit um Beratungen bitten kann, wenn seiner Meinung nach "die Unversehrtheit des Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht ist". Der Nordatlantikrat ist das wichtigste Entscheidungsgremium der Nato.
Moskau als Schutzmacht der syrischen Regierung meldete sich am Freitagmorgen mit dem Vorwurf zu Wort, die getöteten türkischen Soldaten seien zum Zeitpunkt des Angriffs mit der Al-Kaida-nahen islamistischen Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) unterwegs gewesen.
Die Rebellen hätten in der Nacht auf Freitag eine großangelegte Offensive auf die syrischen Regierungstruppen versucht, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. "Dabei sind auch türkische Militärangehörige, die sich unter den Kampfeinheiten der terroristischen Gruppen befanden, unter Beschuss der syrischen Soldaten gekommen."
Die Türkei wies das umgehend zurück. "Ich möchte klarstellen, dass während dieses Angriffs keine bewaffneten Gruppen in der Nähe unserer Truppen waren", sagte Verteidigungsminister Hulusi Akar der Nachrichtenagentur Anadolu zufolge. Akar betonte auch, dass die Stellungen der türkischen Truppen zuvor mit Russland koordiniert worden seien. Ihm zufolge hat die Türkei bei Vergeltungsschlägen mehr als 200 "Regime-Ziele" angegriffen und dabei 309 Soldaten "neutralisiert"; das kann getötet oder verletzt bedeuten. Nach Angaben von Menschenrechtsbeobachtern waren bei den Gegenangriffen der Türkei mindestens 16 syrische Soldaten getötet worden.
Allerdings schien die Eskalation dazu beigetragen zu haben, dass ein zuvor fraglich gewordenes Treffen Erdogans mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nun wieder auf der Tagesordnung steht. Nach einem Telefonat der beiden am Freitag teilte der Kreml mit, dass sie ein baldiges Treffen auf höchster Ebene vereinbart hätten. Gleichzeitig liefen in Ankara Verhandlungen auf Arbeitsebene weiter.
Der türkische Kommunikationsdirektor im Präsidialpalast, Fahrettin Altun, forderte die internationale Gemeinschaft erneut dazu auf zu helfen. Es müsse unter anderem eine Flugverbotszone für Idlib eingerichtet werden, sagte er. Die EU wiederum forderte ein sofortiges Ende der Eskalation in Syrien. Es gebe das Risiko einer "größeren, offenen internationalen militärischen Konfrontation", schrieb der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Freitag auf Twitter.
Erdogan hat wiederholt mit einem Militäreinsatz gedroht, sollte sich das syrische Militär in Idlib nicht bis Ende Februar aus einem bestimmten Gebiet wieder zurückziehen. Ein entsprechendes Ultimatum der Türkei läuft Samstagnacht aus.