Türkei: Polizei stürmt Redaktionsgebäude

Die Stürmung eines Redaktionsgebäudes in der Türkei durch die Polizei sorgt für Aufsehen. Die zeitung war zuvor unter staatliche Aufsicht genommen worden, da ein der Zeitung nahe stehender Prediger einen Parallelstaat aufbauen wollte.
von  dpa
Die türkische Polizei hat am Freitag eine Zeitungsredaktion gestürmt.
Die türkische Polizei hat am Freitag eine Zeitungsredaktion gestürmt. © dpa

Istanbul - Die türkische Polizei hat am Freitagabend das Redaktionsgebäude der oppositionellen Zeitung "Zaman" in Istanbul gestürmt.

Gegen die protestierende Menge von Hunderten von Lesern, die sich seit dem Abend vor dem Haus versammelt hatte, sei die Polizei mit Tränengas und Wasserwerfern vorgegangen, berichtete die Zeitung in ihrer englischen Ausgabe online. Die Polizei hätte Überwachungskameras im Gebäude abgeschaltet, um Live-Bilder vom Einsatz zu verhindern. Die Mitarbeiter seien aufgefordert worden, das Haus zu verlassen.

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Die Zeitung war am Freitag auf einen Gerichtsbeschluss hin unter die Aufsicht einer staatlichen Treuhandverwaltung gestellt worden. "Diebe raus", skandierten den Berichten zufolge die Mitarbeiter der Zeitung.

 

Freund wurde zum Feind

 

Ein offizieller Grund für den Gerichtsbeschluss wurde zunächst nicht bekannt. "Zaman" steht der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen nahe, der im US-Exil lebt. Gülen war einst ein Verbündeter des islamisch-konservativen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, hat sich mit ihm aber überworfen. Gülens "Hizmet"-Bewegung ist in der Türkei inzwischen zur Terrororganisation erklärt worden.

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Die USA zeigten sich besorgt. "In einer Demokratie sollten kritische Meinungen nicht zum Schweigen gebracht werden, sondern sie sollten bestärkt werden", sagte der Sprecher des Außenministeriums, John Kirby, am Freitag in Washington. Die türkische Regierung müsse sicherstellen, dass die Pressefreiheit eingehalten werde.

 

Schwerer Schlag gegen Pressefreiheit

 

Amnesty International sieht einen schweren Schlag gegen die Pressefreiheit. "Indem sie um sich schlägt und danach strebt, die kritischen Stimmen im Zaum zu halten, walzt die Regierung von Recep Tayyip Erdogan Menschenrechte nieder", teilte der Türkei-Experte der Organisation, Andrew Gardner, am Freitag in London mit.

Der Deutsche Journalisten-Verband kritisierte die Entscheidung des Gerichts, "Zaman" unter Treuhandverwaltung zu stellen. "Damit werden die letzten Reste der Pressefreiheit in der Türkei ausgehebelt", sagte der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall.

Die Chefredakteurin des englischsprachigen "Zaman"-Schwesterblattes "Today's Zaman", Sevgi Akarcesme, sagte der Deutschen Presse-Agentur in Istanbul am Telefon: "Das ist das Ende der Pressefreiheit in der Türkei, und das verstößt gegen unsere Verfassung." Es gebe keine Rechtsstaatlichkeit in der Türkei mehr. "Die Regierung hat unsere Zeitung konfisziert", klagte Akarcesme.

 

Entmachtung von Erdogan?

 

Gülen wird vorgeworfen, "parallele Strukturen" - also einen Staat im Staate - in der Türkei gegründet zu haben mit dem Ziel, Erdogan zu entmachten. Ein offizieller Grund für den Gerichtsbeschluss wurde zunächst nicht bekannt.

Der Parlamentsabgeordnete Emrullah Isler von der Regierungspartei teilte über Twitter mit, die Übernahme durch Treuhänder sei "ein wichtiger Schritt im Kampf gegen die parallele Struktur". Weiter schrieb er: "Sie zahlen den Preis für ihren Verrat gegenüber dem Staat und dem Volk."

Erdogan weist regelmäßig Vorwürfe zurück, die Pressefreiheit in der Türkei werde eingeschränkt. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen liegt die Türkei auf Platz 149 von 180 Staaten. "Zaman" hatte nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr eine Auflage von rund 850 000 Stück (Stand März 2015). Sie war damals die auflagenstärkste Zeitung der Türkei.

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