Tschechien in der Krise: Prag schämt sich für den „Irren“ von der Burg

Bayerns Nachbarland im Chaos: Der tschechische Ministerpräsident ist gestürzt, der EU-Reformprozess steht vor dem Aus. Die Bürger sind wütend auf den größten EU-Skeptiker im Lande: ihren eigenen Präsidenten Vaclav Klaus.
von  Abendzeitung
Die Tschechen sind europafreundlicher als die Deutschen - Präsident Klaus nicht.
Die Tschechen sind europafreundlicher als die Deutschen - Präsident Klaus nicht. © dpa

PRAG - Bayerns Nachbarland im Chaos: Der tschechische Ministerpräsident ist gestürzt, der EU-Reformprozess steht vor dem Aus. Die Bürger sind wütend auf den größten EU-Skeptiker im Lande: ihren eigenen Präsidenten Vaclav Klaus.

Pavel Prohaska versteckt seinen Zorn. Nur mit einer Kopfbewegung deutet er nach oben, Richtung Burg. „Das ist ein Irrer“, sagt der freundliche Mann mit der Nickelbrille. Er meint den Herrn der Burg, die über ihm thront. Von hier, von der Karlsbrücke, wirkt er besonders imponierend, der Hradschin mit dem Veitsdom: das Postkartenmotiv von Prag.

Pavel Prohaska verkauft dieses Postkartenidyll. Er ist Souvenirhändler, und an die Schönheit hat sich der 55-Jährige gewöhnt. Er ist aufgeregt, wenn das Gespräch auf den Mann kommt, der dort oben residiert und der gerade für mächtig Unruhe sorgt in ganz Europa. Vaclav Klaus ist Präsident der Tschechischen Republik, und als solcher verfolgt er sein Lieblingsprojekt: der EU zu schaden. Gerade hat er mitgeholfen, seine eigene Regierung zu stürzen – ausgerechnet in dem Moment, da Bayerns Nachbar die Ratspräsidentschaft innehat.

"Klaus ist doch ein schlafender Agent des KGB"

„Das schadet uns enorm“, sagt Pavel, „vor allem im Ausland“. Und: „Klaus ist doch schlafender Agent des KGB.“ Dem Staatspräsidenten sei „die Ukraine offenbar lieber als Europa“. Ganz anders als Pavel. Der lebt von den Europäern, auch wenn sie nicht mehr so zahlreich kommen wie früher: „40 Prozent Umsatzrückgang“, sagt er. „Nur noch Russen und italienische Kinder; und die kaufen nichts.“

Pavels Arbeitsplatz, die weltberühmte Moldaubrücke, wird gerade restauriert, sie bebt unter dem Gewicht der Lkws und Geländewagen, die über die Straße am Ufer fahren. Auch das politische Beben ist zu spüren.

„Ich bin mächtig sauer“, sagt Barbara Steklikova. Die blonde 25-Jährige steht am Portal eines Infozeltes. Im Schatten des Pulverturms verteilt sie Prospekte für einen EU-Sozialfonds. „Die EU ist eine gute Idee. Wir können reisen, woanders arbeiten, wir bekommen Geld für Straßen und Brücken“, sagt sie. „Der Präsident handelt doch gegen unsere Interessen!“ Es ist nicht leicht, jemanden zu finden, der den Euro-Skeptizismus des Mannes in der Burg teilt: Er hat sich geweigert, die Europa-Fahne über seinem Palast aufzuziehen – ein Zeichen sollte es sein.

Die goldene Stadt - der Name verpflichtet

Schon immer war Prag eine europäische Stadt. Abschottung und Provinzlertum passen nicht zu ihr. Gotik, Barock, Klassizismus, Prager Jugendstil: keine Epoche, die nicht ihre Spuren hinterlassen hätte. Um das Moldau-Knie findet sich vermutlich die höchste Denkmaldichte europäischer Hochkultur. So viel haben Konservatoren zu zeigen, dass sie gar nicht alles auf Hochglanz bringen können: Auch dort, wo man sich nicht wie in einem Schmuckkästchen fühlt, schimmert das Gold der Kuppeln und Kugeln, der Heiligenscheine und Schwerter. Die goldene Stadt – der Name verpflichtet.

Und doch ist die Stadt weit mehr als ein Museum, weit mehr als ein Disneyland für Studenten, die sich einst vor allem aus Amerika locken ließen. Zwar kann man noch immer ein Gulasch und ein Bier für sechs Euro bekommen. Aber auch wenn man nach wie vor in Kronen zahlt: Mit dem Lebensstandard haben die Preise angezogen. Es rollen eine Menge Porsches und Geländewagen übers historische Kopfsteinpflaster.

"Was für ein schlechtes Bild wir abgeben"

Wird die Krise dem Land schaden? Jiri schüttelt den Kopf. Er versucht, sein kleines Theater „Zabradli“ gegen die Konkurrenz der Musicals und Kirchenkonzerte durchzubringen, die um Besucher buhlen: „Die Chefs in Europa sind doch nicht wir“, meint der junge Impresario. „Das sind doch Deutschland und Frankreich.“ Vaclav Klaus? Der ist ihm egal. Ein paar mehr Leute könnten in sein Theater kommen, findet Jiri.

Mehr Leute im Laden wünscht sich auch Sonja Lobura. Die Sonne spielt auf dem Kristallkitsch und den Bierkrügen ihres Geschäfts links der Moldau: „Was für ein schlechtes Bild wir abgeben“, sagt sie. „Wir sollten Lissabon schnell ratifizieren.“

Hier kennt sich jemand aus. Der Vertrag, der Europas Institutionen fit machen soll für eine Gemeinschaft von 27 Staaten, er liegt in Tschechien unratifiziert beim Senat. Und Klaus, der Böse von der Burg, will ihn nicht unterzeichnen. „Ich weiß auch nicht, wie das weitergehen soll“, sagt die junge Studentin.

Oben auf der Burg sticht eine Gruppe heraus aus den Führungen von Russen, Chinesen und Koreanern: Sie sprechen ostküstenenglisch, sie gestikulieren und tippen in ihre Blackberrys. „Hier kommt der rote Teppich hin, und hier wird er entlanggehen,“ sagt das Vorauskommando der US-Protokollabteilung. ER wird nämlich kommen, nächste Woche: Barack Obama macht dem EU-Ratspräsidenten die Aufwartung. Freut sich Sonja Lobura schon? „Nein, der kann unsere Probleme auch nicht lösen.“

Matthias Maus

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