Thilo Sarrazin: „Der Inbegriff des hässlichen Deutschen“
Der umstrittene Bundesbanker nimmt nichts zurück. Für Bundeskanzlerin Angela Merkel hat er nur milden Spott. Die SPD will ihn loswerden, und die Bundesbank will sich erklären
Draußen gab es Demos, drinnen blieb der Hauptdarsteller ungerührt – und bei seinen Thesen. Die SPD versucht ihn loszuwerden, die Bundesregierung grollt, und die Bundesbank windet sich. Thilo Sarrazin hält den Betrieb in Atem.
Trotz wachsenden Drucks von allen Seiten hat der umstrittene Bundesbank-Vorstand seine Thesen zur Integration verteidigt. „Ich lade alle ein, Unstimmigkeiten in meiner Analyse zu finden“, sagte der frühere Berliner Finanzsenator bei der Vorstellung seines Buches „Deutschland schafft sich ab“. Das werde aber nicht einfach sein.
Das SPD-Präsidium beschloss ein Parteiordnungsverfahren. Der 65-Jährige soll ausgeschlossen werden. Darüber muss noch der Parteivorstand entscheiden. In der SPD regt sich aber auch Widerspruch gegen einen Parteiausschluss „Volksparteien müssen sich auch unangenehmen, auch lästigen, auch ärgerlichen Thesen stellen“, sagte der Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD).
Aus Sicht der Bundesregierung beschädigt Sarrazin das Ansehen der Bundesbank. „Die Bundesbank muss sich da natürlich jetzt Gedanken machen“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Deren Chef Axel Weber wollte am Nachmittag eine Erklärung abgeben.
Sarrazin hat eine lange Tradition provokanter Äußerungen: „Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert“, sagte er, oder: „Ehe jetzt einer im 20. Stock sitzt und den ganzen Tag nur fernsieht, bin ich schon fast erleichtert, wenn er ein bisschen schwarz arbeitet.“ Wegen erheblicher rechtlicher Hürden ist es der Bundesbank bisher nicht gelungen, Sarrazin loszuwerden.
Der Umstrittene selbst will Posten und Parteibuch behalten. „Ich bin in einer Volkspartei und werde in einer Volkspartei bleiben, weil ich meine, dass diese Themen in eine Volkspartei gehören“, sagte er vor Journalisten aus dem In- und Ausland.
„Natürlich kenne ich meinen Dienstvertrag, und ein Mitarbeiter der Deutschen Bundesbank, und auch ein Bundesbankvorstand, hat wie jeder andere Bürger das Recht, auf Gebieten, die nicht seinem dienstlichen Obliegenheitenkreis gehören, sich frei zu äußern.“ Sarrazin bekräftige seine Warnung, dass die Deutschen wegen der niedrigen Geburtenrate zu „Fremden im eigenen Land“ werden könnten. Er warf Einwanderern aus muslimischen Ländern mangelnde Integration vor. „Dafür ist die Herkunft aus der islamischen Kultur verantwortlich“, sagte er.
Kritik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) konterte er mit Spott: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Frau Merkel das Zeitbudget hat, dass sie schon meine 464 Seiten gelesen hat.“ Während Sarrazin sprach, protestierten vor der Tür etwa 150 Menschen.
Sarrazin wiederholte auch seine Aussage über das Erbgut von Juden und Basken. „Neue Untersuchungen offenbaren die gemeinsamen genetischen Wurzeln der heute lebenden Juden. Das ist ein Faktum.“ Daraus ergäben sich aber weder negative noch positive Zuschreibungen. In einer Erklärung schob er nach: „Es handelt sich nicht um eine rassistische Äußerung. An die Adresse seiner Kritiker sagte Sarrazin: „Offenbar gibt es den Versuch einer gewissen bürgerlichen Hinrichtung.“
Der frühere Vize-Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, warf Sarrazin unhaltbare Verallgemeinerungen vor. „Man kann den Menschen nicht auf sein Erbgut allein reduzieren.“
Die türkischstämmige Sozialwissenschaftlerin Neclá Kelek, die das Buch vorstellte, nahm Sarrazin dagegen in Schutz. „Hier hat ein verantwortungsvoller Bürger bittere Wahrheiten ausgesprochen und sich um Deutschland einen Kopf gemacht“, sagte Kelek. „Um diesen Kopf soll Thilo Sarrazin offensichtlich jetzt kürzer gemacht werden.“
Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), Ayyub Axel Köhler, nannte Sarrazin den „Inbegriff des hässlichen Deutschen“. „Er hat dem Ruf unseres Landes mit seinen rassistischen und menschenverachtenden Äußerungen schweren Schaden zugefügt“. Und Siemens-Chef Peter Löscher sagte: Sarrazin schade mit seiner Kritik dem Standort Deutschland. jol.