Theo Waigel: „Ich lass’ mich von niemandem mehr ärgern!“
Der CSU-Politiker wird 70 Jahre alt. Sein einziger Wunsch: Er will noch das Abitur seines Sohnes erleben. Im AZ-Interview spricht Waigel über Karriere, Tod und die CSU
AZ: Grüß Gott Herr Waigel, Sie sind ab heute 70. Blicken Sie an diesem Tag lieber zurück oder lieber nach vorne?
THEO WAIGEL: Der Blick zurück ist interessant. Aber ich habe mir in den vergangenen Jahren angewöhnt, in die Gegenwart und nach vorne zu schauen. Und nicht zurück. Deshalb bin ich auch mit meinen Erinnerungen noch nicht fertig. Denn wann ist ein Leben schon fertig?
Dann lassen Sie uns doch über die Zukunft reden. Was bedeutet für Sie Altwerden?
Altern gehört zum Leben, zum Mensch sein. Jede Phase des Lebens hat ihren Reiz und ihre Beschwernis. Ich muss ehrlich zugeben, dass die jetzige Phase und vor allem auch die letzten Jahre mit zu den interessantesten und befriedigendsten meines Lebens gehören. Das war für mich eine erfüllte und glückliche Zeit.
Interessanter als Ihr politisches Leben?
Damals, bei meinem Ausscheiden, habe ich mir nicht vorstellen können, dass es so viele interessante, spannende und befriedigende Aufgaben für mich gibt. Dass ich mit eigener Souveränität entscheiden kann, ob mir etwas gefällt oder nicht. Ob ich es mache oder nicht. Ob mir die Menschen, mit denen ich mich befasse, sympathisch sind oder weniger. Das alles kann ich selbst entscheiden. Und das ist etwas ganz Herrliches.
Johann Wolfgang von Goethe sagte: „Ein Menschenleben ist seltsam eingerichtet. Nach den Jahren der Last hat man die Last der Jahre." Hat er damit also nicht recht?
Johann Wolfgang von Goethe hatte es zu seiner Zeit noch schwerer. Heute haben wir in der älteren Zeit unglaublich viele Möglichkeiten. Man kann als 60- bis 70-Jähriger genau so gut Autofahren wie als 20- bis 30-Jähriger. Vielleicht ein bisschen langsamer. Und das ist ja kein Nachteil. Man ist flexibler geworden. Noch nie hatte eine ältere Generation so viele Möglichkeiten wie heute. Das gilt natürlich nicht für alle. Auf mich aber trifft es zu. Und dafür bin ich unendlich dankbar.
Muss man im Alter nochmal Karriere machen? Nach dem milliardenschweren Schmiergeldskandal wurden sie mit 69 Jahren von Siemens als Aufpasser verpflichtet.
Karriere ist das falsche Wort. Das ist eine Aufgabe für die nächsten drei bis vier Jahre. Ich kontrolliere, ob Siemens seine Auflagen wirklich einhält. Aber daneben habe ich Gelegenheit, in vielen gesellschaftlichen Bereichen mitzuarbeiten, zum Beispiel beim NS-Dokumentationszentrum in München. Dort habe ich die Möglichkeit, meinen Wählern etwas zurückzugeben für das Vertrauen, das sie mir einst entgegen gebracht haben.
Denken Sie auch übers Sterben nach?
Natürlich. Darüber habe ich mir mein Leben lang angewöhnt nachzudenken. Als Kind bin ich auf unserem Bauernhof ganz unmittelbar mit Leben und Tod umgegangen. Das ist die Natur.
Wie sollte die Inschrift auf Ihrem Grabstein mal lauten?
Nur der Name. Auf keinen Fall Bundesminister a.D., denn in der Schrift heißt es: Ich habe dich bei deinem Namen gerufen.
Warum wollen Sie darauf verzichten?
Titel und Orden sind doch völlig unwichtig. Ich habe nie auf Titel Wert gelegt und ziehe nicht mal den Bayerischen Verdienstorden an, was mir jetzt wahrscheinlich gleich wieder einen Minuspunkt einbringt.
Freuen Sie sich eigentlich über das Geburtstagsgeschenk Ihrer Partei, die Sie jetzt, nach zehn Jahren, doch noch zum CSU-Ehrenvorsitzenden macht?
Da muss ich mit einer Legende aufräumen. Das hätte Edmund Stoiber auch vorgeschlagen. Aber mit damals 59 Jahren lässt man sich doch nicht zum Ehrenvorsitzenden machen. Dafür habe ich mich damals schlichtweg zu jung gefühlt.
Oder Freude Sie sich mehr über das vorgezogene Geschenk von Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel?
Ich weiß überhaupt nicht, was das ist.
Dass Sie jetzt nicht mehr der Rekord-Schuldenmacher der Nation sind. Sondern dass Peer Steinbrück Sie mit seinem 50-Milliarden-Konjunkturpaket II überrundet hat.
Über diese Dinge habe ich immer nur lachen können. Da schätze ich den Peer Steinbrück als etwas realistischer ein als seinen Vorgänger Hans Eichel. Der muss es jetzt machen. Da bleibt ihm nichts anderes übrig. Jede Kritik an Steinbrück wäre jetzt kleinkariert.
Hätten Sie jemals erwartet, dass die Weltwirtschaft so ins Trudeln gerät?
In dieser Dimension nicht. Dass es immer wieder zu Krisen kommt, ist unvermeidlich. Man vermeidet alte Fehler und begeht dann wieder neue. Mich erinnert die jetzige Situation an den Turmbau zu Babel. Wo man unten stehend die Oberen nicht mehr gesehen hat. Und die, die oben gebaut haben, haben das Fundament nicht mehr gesehen. Niemand mehr hatte den Durchblick.
Und dass die CSU in Bayern ihre absolute Mehrheit verliert?
Also, das ist kein Weltwunder. Das ist etwas, was passieren kann. Es gibt kein Naturgesetz, dass die CSU bei allen Wahlen über 50 Prozent haben muss. Aber ich traue ihr zu, das wieder zu erreichen.
Sie sind einer der Väter des Euro. War der Euro Ihr größter persönlicher Erfolg?
Im Nachhinein ja. Nachdem der Nobelpreisträger Robert Mundell gesagt hat, die Einführung des Euros war das zweitwichtigste Währungsereignis des vergangenen Jahrhunderts. Wenn das weltweit so gesehen wird, hoffe ich, dass auch die letzten Kleingeister in Deutschland begreifen, was wir damals entschieden haben. Der Euro ist heute stärker als die D-Mark, und er schützt uns stärker in einer globalen Welt, als die D-Mark es je hätte tun können.
Was wollen Sie unbedingt noch erleben?
Das Abitur von Konstantin. Sonst will ich dem lieben Gott keine Grenzen setzen. Aber ich setze mir auch keine sonderlichen Ziele. Ich wünsche mir, dass ich das nächste Jahrzehnt bei passabler Gesundheit und geistig rege erlebe.
Haben Sie wirklich keine Ziele mehr?
Ich hatte mir im letzten Jahr zwei gesetzt. Ich bin auf einen wunderschönen, aber schwer zu ersteigenden Grasberg im Allgäu gestiegen, auf die Höfat. Natürlich in Begleitung eines erfahrenen Bergführers. Das hatte ich mir 40 Jahre lang vorgenommen.
Und das zweite?
Nach 60 Jahren bin ich zum ersten Mal wieder auf den Kirchturm von Ursberg gestiegen. Der ist immerhin über 70 Meter hoch.
Was wollten Sie sich beweisen?
Beides habe ich ohne Konditionsprobleme und Schwindelgefühle geschafft.
Vor was haben Sie Angst?
Nicht vor meinem eigenen Tod. Aber vor dem Tod von Familienmitgliedern und Freunden. Aber auch das muss man akzeptieren.
Verraten Sie uns noch eines: Wird man mit dem Alter wirklich weiser?
Ja. Das ist wahr. Ich lass' mich von niemandem mehr ärgern! Ich habe meine eigene Meinung als Christ, die ich mir auch von Köln und Rom nicht mehr nehmen lasse. Man wird selbstständig und souverän im Urteil. Und ich glaube auch, dass man manches Vorurteil abgelegt hat. Der Blick zurück geht nicht ins Verklärte. Aber auch nicht ins Bittere.
Interview: Angela Böhm