Tempo 120? Steinbrück auf 180
SPD-Chef Sigmar Gabriel prescht vor – und tritt dann voll auf die Bremse
BERLIN Bei diesem Manöver hat sich SPD-Chef Sigmar Gabriel offenbar ordentlich verbremst. Erst forderte er im Alleingang die Einführung von Tempo 120 auf Autobahnen. Dann brachte er seine eigene Partei damit gegen sich auf. Schließlich zog er seinen Vorstoß kleinlaut zurück.
Gabriel wählte ein Interview mit der „Rheinischen Post“ für seine Tempo-Offensive: „Tempo 120 auf Autobahnen halte ich für sinnvoll, weil alle Unfallstatistiken zeigen, dass damit die Zahl der schweren Unfälle und der Todesfälle sinkt. Der Rest der Welt macht es ja längst so.“
Für Kanzlerkandidat Peer Steinbrück kam das denkbar ungelegen – schon deswegen, weil er parallel dazu sein Verkehrs-Sofortprogramm vorstellte (zwei Milliarden für die Sanierung von maroden Brücken und Straßen). Das ging dann natürlich in der anderen Verkehrs-Debatte völlig unter. Zudem hatte die SPD gerade jenes Tempolimit-Thema bewusst aus ihrem Regierungsprogramm ausgeklammert: Der Parteichef setzte sich mit seiner Forderung darüber hinweg. Und zeigte so auch, dass die Spitze der Genossen nicht an einem Strang zieht.
Ungewöhnlich öffentlich gab Steinbrück Kontra. „Die Debatte läuft seit 20 Jahren. Ich sehe keine Veranlassung, sie zu aktivieren.“ Ein Tempolimit sei nicht sinnvoll. Genauso äußerten sich SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier – und auch SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, die angesichts ihrer Herkunft aus dem linken Flügel der Partei normalerweise inhaltlich eher zu Gabriel neigt. Sie hatte erst jüngst öffentlich geschildert, wie gern sie auf Autobahnen Gas gebe. Ob das politisch korrekt sei? „Das ist mir sowas von egal.“
Das große Problem sind die Landstraßen
Am Donnerstag gab Gabriel dann nach. Via „Bild“-Zeitung zog er seinen Vorstoß zurück. „Sicherheit braucht Vorfahrt, mehr wollte ich nicht sagen. Bei der Wahl geht es um andere Fragen als das Tempolimit. Das gilt sowieso schon auf den meisten Strecken.“
Die Debatte war da allerdings schon losgetreten. Bis auf die Grünen, die ein Tempolimit aus Klimaschutzgründen ohnehin im Programm haben, überwog allerdings die Kritik. Union, FDP und der ADAC stürzten sich auf Gabriels Forderung. Laut ADAC stimmt auch die Äußerung mit der Unfallstatistik nicht: In Österreich etwa, wo ein Limit von 130 Stundenkilometern gilt, liegt die Zahl der Unfalltoten pro gefahrenem Autobahn-Kilometer höher als in Deutschland.
Betrachtet man die Zahlen des Statistischen Bundesamts, ist das größere Problem die Landstraße: Von den 4006 Verkehrstoten 2011 starben 2441 auf der Landstraße, 1115 innerorts und 453 auf der Autobahn. Die Hälfte der Autobahnunfälle, so die Statistiker weiter, geht auf „nicht angepasste Geschwindigkeit“ zurück. Der ADAC argumentiert zudem, dass ohnehin auf 40 Prozent der 12800 Autobahnkilometer Tempo-Beschränkungen gelten. Die Passagen ohne Limit machen 1,5 Prozent des deutschen Straßennetzes aus. Insofern wäre auch die Wirkung für die Umwelt überschaubar (auch wenn man argumentieren kann, das jedes Gramm hilft) – denn der gesamte Verkehr macht in Deutschland nur 18 Prozent des CO2-Ausstoßes aus.