Teilmobilmachung: Hunderte Festnahmen bei Anti-Kriegs-Protesten in Russland

Trotz brutaler Polizeigewalt demonstrieren in Russland wieder Menschen gegen die von Putin angeordnete Teilmobilmachung für den Krieg in der Ukraine. Es gibt aber auch Kritik von offiziellen Stellen.
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Polizisten in Moskau halten eine Demonstrantin fest.
Polizisten in Moskau halten eine Demonstrantin fest. © Uncredited/AP/dpa

Moskau - Die russische Polizei ist teils brutal gegen Teilnehmer von Anti-Kriegs-Protesten vorgegangen. Allein in Moskau gab es am Samstag bei einer Demonstration gegen die Teilmobilmachung in Russland für den Krieg in der Ukraine mehr als 100 Festnahmen. In St. Petersburg wurden in sozialen Netzwerken Videos veröffentlicht, die zeigten, wie Männer in Kampfuniform und mit Helm auf Demonstranten einknüppelten.

Das Menschenrechtsportal "ovd.info" berichtete unter Berufung auf Augenzeugen, dass Sicherheitskräfte Elektroschocker einsetzten. Am späten Nachmittag war von landesweit 289 Festnahmen in insgesamt 22 Städten die Rede.

Ein russischer Rekrut blickt in Wolgograd beim Abschied durch ein Busfenster auf seine weinende Mutter.
Ein russischer Rekrut blickt in Wolgograd beim Abschied durch ein Busfenster auf seine weinende Mutter. © Uncredited/AP/dpa

Kremlchef Wladimir Putin will rund 300.000 Reservisten einziehen lassen, um nach den Niederlagen der russischen Armee in der Ukraine die dort noch besetzten Gebiete zu halten. Das hatte bereits am vergangenen Mittwoch Proteste in etwa 40 Städten ausgelöst.

In der russischen Hauptstadt demonstrierten am Samstag bei kaltem und regnerischem Wetter Dutzende Menschen, wie eine Reporterin der Deutschen Presse-Agentur vor Ort berichtete. Die Menschen protestierten in zahlreichen Städten friedlich dagegen, dass Bürger in Putins Krieg in der Ukraine hineingezogen werden.

Zunehmende offizielle Kritik an Teilmobilmachung

Unterdessen mehrt sich von offiziellen Stellen die Kritik am Vorgehen des Militärs bei der Teilmobilmachung. Der Chef des Menschenrechtsrats beim russischen Präsidenten, Waleri Fadejew, forderte Verteidigungsminister Sergej Schoigu auf, das "Knüppelsystem" vieler Einberufungsstellen im Land zu beenden. Es bekämen sogar Männer Einberufungsbefehle, die keine Kampferfahrung hätten.

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In der Region Jakutien in Sibirien räume der Republikchef Aissen Nikolajew ein, dass Fehler gemacht worden seien in den Wehrkreisämtern. Es seien Männer eingezogen worden, die nicht unter die Mobilmachung fielen. "Es wurden Reservisten fehlerhaft eingezogen, sie müssen zurückgeschickt werden. Die Arbeit hat bereits begonnen", sagte Nikolajew.

In den sozialen Netzwerken in Russland gibt es zahlreiche Fälle, in denen Väter kinderreicher Familien, Männer ohne Kampferfahrung oder auch ältere und chronisch kranke Reserveoffiziere berichten, dass sie eingezogen worden seien. Nikolajew sagte, dass die Entscheidungen der Militärkommissariate besser überprüft werden müssen.

Kadyrow: Brauchen Reservisten nicht

Derweil flüchteten Tausende weiter aus dem Land, um einer Einberufung zu entgehen. Der Chef der russischen Teilrepublik Tschetschenien im Nordkaukasus, Ramsan Kadyrow, nannte die Ausreisenden "Faulpelze", "Nichtsnutze" und "Feiglinge", die ruhig gehen sollten, weil sie der Armee nur schaden könnten. Zugleich sagte er, dass Russland eigentlich genügend Ressourcen habe ohne Reservisten. Es gebe in Russland fünf Millionen gut vorbereitete Menschen, die mit Waffen umgehen könnten.

Ein russischer Rekrut blickt in Wolgograd beim Abschied durch ein Busfenster auf seine weinende Mutter.
Ein russischer Rekrut blickt in Wolgograd beim Abschied durch ein Busfenster auf seine weinende Mutter. © Uncredited/AP/dpa

Die Verwunderung und die Kritik in der russischen Gesellschaft sind seit Tagen groß, weil Putin Reservisten mobilisiert, nicht aber die Angehörigen der verschiedenen Sicherheitsstrukturen. Es gibt allein rund eine Million Soldaten, dazu die Nationalgarde und die Truppen des Innenministeriums sowie etwa Sicherheitskräfte des Strafvollzugs. "Wenn 50 Prozent der Mitarbeiter im Dienst gelassen werden, dann besiegt die andere Hälfte in einer Zahl von 2,5 Millionen Menschen jede westliche Armee. Und die Reserve ist nicht nötig", sagte er.

Putin entlässt Vize-Minister

Kremlchef Putin setzte indes ein geändertes Gesetz über härtere Strafen für Deserteure in Kraft. Wer etwa in den Zeiten einer Mobilmachung oder des Kriegszustands Fahnenflucht begeht, kann demnach mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden. Wer sich freiwillig in Kriegsgefangenschaft begibt - dazu hatte die ukrainische Regierung aufgerufen -, muss mit bis zu zehn Jahren Haft rechnen.

Eine Frau demonstriert in Moskau gegen die Teilmobilisierung für den Krieg gegen die Ukraine.
Eine Frau demonstriert in Moskau gegen die Teilmobilisierung für den Krieg gegen die Ukraine. © Uncredited/AP/dpa

Zugleich entließ der Präsident genau sieben Monate nach Beginn des Kriegs gegen die Ukraine den für die Ausstattung und die Versorgung der Armee zuständigen Vize-Verteidigungsminister Dmitri Bulgakow. Offiziell begründete das Verteidigungsministerium den Schritt in einer Mitteilung vom Samstag mit der Versetzung Bulgakows "auf einen anderen Posten". Sein Nachfolger soll Generaloberst Michail Misinzew werden, der bislang das nationale Zentrum für Verteidigungsmanagement leitete. Er soll künftig insbesondere für die Logistik der Armee zuständig sein.

Misinzew ist auch im Ausland bereits bekannt: So wurde er für die schweren Angriffe auf die südukrainische Hafenstadt Mariupol verantwortlich gemacht, die Ende Mai von den Russen erobert worden war. Während der wochenlangen Belagerung wurden ukrainischen Angaben zufolge Tausende Zivilisten getötet und ein Großteil der Stadt zerstört. In Großbritannien steht Misinzew, der auch als "Schlächter von Mariupol" bezeichnet wird, deshalb auf einer Sanktionsliste.

Nach jüngsten Niederlagen war Russlands militärische Führung um Verteidigungsminister Schoigu zuletzt auch in kremlnahen Kreisen in die Kritik geraten. Unter dem Druck ukrainischer Gegenoffensiven musste sich die russische Armee vor rund zwei Wochen aus dem ostukrainischen Gebiet Charkiw zurückziehen. Am vergangenen Mittwoch dann befahl Putin eine Teilmobilmachung seiner Streitkräfte.

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  • Der wahre tscharlie am 25.09.2022 17:19 Uhr / Bewertung:

    Unter 15 Jahren "Gulag" geht in Russland wohl garnichts mehr.
    Irgendwie erinnert das einen langsam an Stalins Zeiten.
    Freiheit den Russen!!! Und 15 Jahre Haft für Putin. Denn wie ich letztens gelesen habe, gibt es ein russisches Gesetz, das einen Angriffskrieg auf ein anderes Land untersagt und dafür gibt es jahrelange Haft.
    Und ich glaube, das ist auch mit der Grund, warum Putin den Krieg nicht Krieg nennt, sondern "Spezialoperation".

  • Andi K. am 24.09.2022 21:33 Uhr / Bewertung:

    Teilmobilmachung? Da kommt der Putin aber spät, der Westen und vor allem die USA haben haben mit ihren Waffenlieferungen und (selbstschadenden) Sanktionen längst vollständige Mobilmachung.

  • Dr. Right am 25.09.2022 07:50 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Andi K.

    Bitte einmal zur militärischen Bedeutung des Begriffs "Mobilmachung" recherchieren. Dann werden Sie erkennen, dass Ihr Kommentar inhaltlich nicht stimmt.

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