Täglicher Horror im Büro: Deutschlands Beschäftigte sind immer gestresster
ESSEN/MÜNCHEN - Weniger Kollegen, immer härtere Zielvorgaben: Stress wird zum Dauerzustand im Job. Besonders schlimm ist es bei Banken und Versicherungen. Die AZ gibt Tipps, wie Sie an Ihrem Arbeitsplatz am besten mit der psychischen Belastung fertig werden
Früher war es ein Problem einzelner und es trat nur zu bestimmten Zeiten auf. Mittlerweile jedoch ist Stress am Arbeitsplatz für Viele ein Dauerzustand. Und er wird langsam zum Massenphänomen in den Firmen.
In vier von fünf Betrieben arbeiten die Beschäftigten dauerhaft unter hohem Druck, zeigt eine Studie des WSI-Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Das WSI hat 1700 Betriebsräte in Firmen mit mehr als 20 Beschäftigten befragt. Fazit: „In den vergangenen zwei bis drei Jahren ist die psychische Belastung der Beschäftigten noch einmal deutlich angestiegen“, berichtet WSI-Gesundheitsexpertin Elke Ahlers. Die wichtigsten Ergebnisse der Studie:
Was sind die Gründe für Stress im Job? Vor allem die immer dünner werdende Personaldecke. „Die Firmen kalkulieren die Beschäftigtenzahl immer knapper“, berichtet Ahlers. „Der Einzelne muss daher einfach mehr tun.“ Hinzu kommen neue Organisationsformen in den Betrieben. Hierarchien werden abgebaut, gleichzeitig aber verstärkt Leistungsmodelle eingeführt. „Die Arbeitnehmer bekommen mehr Verantwortung, müssen aber auch harte Ziel- und Renditevorgaben erreichen. Das setzt sie unter permanenten Leistungsdruck“, sagt die WSI-Expertin.
Wer ist davon besonders betroffen? Die Leistungsorientierung beschränkt sich längst nicht mehr nur auf Manager oder Vertriebsleute. Immer weitere Teile der Belegschaften werden davon erfasst – in manchen Branchen sogar mehr als die Hälfte der Beschäftigten. „Vor allem in Banken und Versicherungen herrschen mittlerweile enorm schlechte Arbeitsbedingungen“, berichtet Ahlers. Die Beschäftigten dort würden in immer stärkerem Maße gezwungen, den Kunden etwas zu verkaufen – seien es Policen oder Anlageprodukte. Banken und Versicherungen lösen damit langsam die Telekommunikation als Stress-Branche Nummer eins ab. Am meisten gestresst sind mittlere Angestellte.
Was sind die Folgen der Entwicklung? Stress im Job macht krank – das stellt auch das WSI fest. „Im Vergleich zu früher können die Beschäftigten viel schlechter vom Job abschalten“, berichtet Expertin Ahlers. Die Folge: Schlafschwierigkeiten und psychische Probleme. Auch die Krankenkassen stellen fest: Seelische Leiden sind immer öfter Ursache für Krankschreibungen. Seit 1995 stiegen die Fehlzeiten wegen psychischer Probleme um 80 Prozent an, berichtet die AOK.
Was kann man tun? Eigentlich sind die Betriebe nach dem Arbeitsschutzgesetz verpflichtet, psychische Belastungen im Job zu minimieren. „Nur 16 Prozent der Firmen machen aber eine Gefahrenbeurteilung am Arbeitsplatz mit Blick auf psychische Stressfaktoren“, meint Expertin Ahlers. Viele Probleme ließen sich durch eine bessere Arbeitsorganisation lösen. Ihr Rat: Bei Schwierigkeiten sollten sich die Beschäftigten an den Betriebsrat oder die Berufsgenossenschaft wenden, um Verbesserungen zu erreichen.“
Andreas Jalsovec
So bauen Sie Stress ab
Die Belegschaft wird immer kleiner, aber die Arbeit bleibt dieselbe. Für Regine Uhlmann ist das ein Hauptgrund für psychische Belastung im Job. Die Stuttgarterin coacht Unternehmer, Manager und Beschäftigte, denen der Druck zu viel wird. Ihre Tipps für den Umgang mit Stress:
Seien Sie weniger perfektionistisch. Schrauben Sie Ihre Anforderungen an sich selbst herunter. Sie müssen nicht jede Aufgabe zu 120 Prozent erfüllen. Oft tun’s auch 90 Prozent. Und: Nehmen Sie Tempo raus. Schalten sie bewusst einen Gang runter. Seien Sie sicher, Sie sind nicht der Einzige in der Firma, der das tut.
Sagen Sie auch mal Nein. Wehren Sie sich gegen unrealistische Zielvorgaben. Sagen Sie klipp und klar: Das ist nicht zu schaffen.Das können Sie sich wohlbegründet durchaus auch gegenüber Ihrem Chef erlauben. Sie sind schließlich der Fachmann/die Fachfrau auf dem Gebiet und nicht er.
Lernen Sie, sich zu entspannen. Ausgleichssport nach der Arbeit kann helfen, Stress abzubauen. Lassen Sie aber den Leistungsaspekt dabei ganz weg. Versuchen Sie also beispielsweise nicht gleich wieder, besonders schnell zu joggen. Das powert Sie nur noch mehr aus. Entspannen Sie sich lieber systematisch – mit Techniken wie Meditation oder autogenem Training.
Machen Sie bewusst Pausen. Das gilt für den täglichen Arbeitsalltag: Sie sollten alle zwei Stunden ihre Arbeit kurz unterbrechen, sich bewegen, etwas trinken, über etwas anderes als Ihre momentane Arbeit reden. So wirken Sie Dauerstress entgegen. Verabschieden Sie sich außerdem von dem Gedanken, dass es ohne Sie nicht geht. Ihre Kollegen können durchaus einspringen. Ein längerer Urlaub hilft, Abstand zu gewinnen.
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