Syrer bitten: Helft uns!
BERLIN Sechs Monate lang haben sie in der deutschen Hauptstadt zusammengearbeitet, heimlich, damit es der syrische Geheimdienst nicht mitkriegt: Syrische Oppositionelle haben einen Plan ausgearbeitet für die Zeit nach Assad. „The Day After“, der Tag danach, haben sie das Papier genannt. Jetzt ist es fertig, gestern haben sie es in Berlin vorgestellt. Und gleichzeitig den Westen aufgefordert, mehr zu tun, um ihnen zu helfen – ausdrücklich auch militärisch.
Amr al-Azm, aktuell Geschichtslehrer in den USA, ist einer der Organisatoren der Initiative, die von deutschen Think Tanks wie der Stiftung für Wissenschaft und Politik, und Gruppen aus den USA, der Schweiz und Norwegen koordiniert wurde. Bald waren es 45 Vertreter der Opposition, langjährigen Exilanten und frisch Geflohenen, die zusammen den Plan für die Zukunft ausgearbeitet haben.
Angefangen bei ganz praktischen Dingen: Wie kann die medizinische Versorgung wieder aufgebaut werden? Wie eine Übergangsjustiz, um Racheakte zu verhindern? Wie viele Schiffe mit Hilfslieferungen kann ein syrischer Hafen pro Tag abfertigen? Aber auch mit konkreten Plänen für die Zukunft: „Aus einem Staat, der in Willkürherrschaft von einem Einzelnen regiert wird, muss ein Rechtsstaat werden.“ Baldmöglichst nach dem Sturz soll eine verfassungsgebende Versammlung einberufen werden.
„Unser Grundsatz, unsere Grundidee, auf der alles aufbaut, war, dass Syrien allen Syrern gehört. Syrien ist ein Vielvölker- und Vielreligionenstaat. In jeden Prozess müssen alle Ethnien und Religionen miteinbezogen werden“, sagt Ferhad Ahma. In dem Papier heißt es: „Die neue Regierung muss zeigen, dass sie mit dem autoritären Regime bricht.“
Auf eine Prognose, wann der „Tag danach“ gekommen sein könnte, wollte sich keiner einlassen. Auch, weil sich die Opposition im Stich gelassen fühlt. Al-Azm forderte die internationale Gemeinschaft zu mehr Unterstützung auf. „Es ist einfach nicht genug, noch ein paar Zelte mehr zu spenden oder ein paar Nahrungsmittel.“ Derzeit herrsche ein Patt in Syrien – das noch lange und blutig so anhalten könnte. Al-Azm: „Wir brauchen ein bisschen mehr als Worte. Wir brauchen die Mittel, um das syrische Regime daran zu hindern, sein eigenes Volk zu töten.“ Zum Beispiel, dass die internationale Gemeinschaft die Rebellen mit schweren Waffen ausrüstet. Oder Flugverbotszonen verhängt (und durchsetzt), um Luftangriffe von Assads Truppen zu unterbinden. Oder die Schaffung von Schutzzonen für Flüchtlinge. Den Einsatz von ausländischen Bodentruppen dagegen forderte keiner der Oppositionellen.
Auf das Papier gab es sehr positive Reaktionen, auf die Bitte nach Intervention nicht. Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle: „In dem Papier sind sehr ermutigende Signale für einen demokratischen Neubeginn.“ Ein Eingreifen berge aber „ein erhebliches Risiko“.
Das Regime von Baschir al-Assad erhält nun Unterstützung von außen: Ein iranischer General bestätigte, dass sein Land Truppen nach Syrien entsandt hat, darunter Elite-Truppen wie die Kuds-Brigaden, aber auch reguläre Soldaten. Mit Geld und Waffen beliefert Teheran seinen Verbündeten schon länger.
Vor Ort gingen die Kämpfe weiter. Gestern vormittag, als die Pressekonferenz in Berlin war, starben 32 Menschen allein in Damaskus.
Mit dem Papier will die syrische Opposition auch den Vorwürfen gegenübertreten, dass sie so zersplittert ist. Ein Überblick über die wichtigsten Akteure:
- Syrischer Nationalrat (SNC). Im Herbst 2011 in der Türkei gegründet, ein Zusammenschluss verschiedenster Gruppen, leicht dominiert von der Muslimbruderschaft, aber auch christliche, kurdische, linke, intellektuelle und säkuläre Mitglieder.
- Nationales Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel (NCC): Im Mai 2011 gegründet. Zweitgrößter Dachverband der Opposition. Besteht aus Reformern, Regimekritikern, Sozialisten. Teilweise von der Regierung geduldet.
– Freie Syrische Armee (FSA). Sie stellt den bewaffneten Widerstand, rekrutiert sich aus Deserteuren, aber auch Zivilisten, die ihr Viertel verteidigen wollen. Fühlt sich von den Exilanten allein gelassen. Freischaffende islamistische Kämpfer werden von ihr geduldet.
- LCC. Lokale Koordinierungs-Komitees, die vor allem über das Internet agieren. Organisieren die Selbstverwaltung in umkämpften Gebieten.