Studie: So werden christliche Flüchtlinge schikaniert
Beim Abholen unseres Geldes werden wir immer nach hinten gedrängt. Auch in der Küche kommen wir als Letzte dran. Nach Mitternacht, wenn wir schlafen, klopfen sie ans Fenster und wir können aus Angst nicht mehr weiterschlafen. Und am nächsten Tag beim Sprachunterricht können wir nicht gut lernen. Muslime nennen uns „mortad“, ungläubig.
Lange hat der Mann, der diese Worte zu Protokoll gab, gezögert – aus Angst, dass seine Daten in falsche Hände geraten könnten. Der junge Flüchtling aus dem Iran nahm an einer Studie teil, die religiös motivierte Gewalt gegen Flüchtlinge in Deutschland dokumentiert.
Die Ergebnisse sind erschütternd. 231 Vorfälle aus der gesamten Republik haben mehrere Menschenrechtsorganisationen, die sich für diesen Zweck zusammengeschlossen haben, binnen acht Wochen zusammengetragen. Christliche Flüchtlinge berichten von Drohungen und Gewalt durch Mitflüchtlinge. „Dies geschieht weit häufiger, als Aussagen von Behörden vermitteln“, sagt Ado Greve, Sprecher der Organisation „Open Doors“, die die Studie koordiniert hat.
Am häufigsten werden Beleidigungen genannt (42 Prozent), dicht gefolgt von Körperverletzungen (37 Prozent) und Todesdrohungen (32 Prozent, gegen die Flüchtlinge selbst oder ihre Familie in Deutschland oder im Heimatland). Immer wieder würden sie in Versorgungsfragen benachteiligt (7 Prozent) oder nachts gezielt geweckt. Auch von sexuellen Übergriffen wird in Einzelfällen berichtet.
Insgesamt erleben 88 Prozent der Flüchtlinge Verfolgung durch Mitflüchtlinge, in Berlin sind es sogar 92 Prozent.
„Es ist wirklich nicht leicht, so viel Grobheit zu ertragen“
Besonders schwer haben es offenbar Konvertiten, Menschen, die ihren Glauben gewechselt haben und denen in ihrem Heimatland manchmal sogar die Todesstrafe droht. Sie reagieren auch besonders entsetzt auf die Gewalterfahrungen: „An dieser Stelle muss ich sagen, dass ich wirklich nicht wusste, dass ich, wenn ich nach Deutschland kommen würde, nur wegen meines Glaubens und hier genauso wie im Iran belästigt werden würde“, notiert ein Flüchtling.
Dabei ist die Verfolgung im Flüchtlingsheim in der Regel keine einmalige Erfahrung, sondern wird von drei Vierteln (170 von 230) aller Befragten mehrmals durchlitten. „Ich habe unbeschreibliche Angst“, schreibt ein iranischer Flüchtling im Fragebogen. „Sie haben meine Kreuzkette bemerkt und spucken mir jedes Mal, wenn sie mich sehen, vor die Füße. Es ist wirklich nicht leicht, so viel Grobheit zu ertragen.“ Viele Studienteilnehmer geben an, dass sie aus Furcht vor Mitflüchtlingen kein Kreuz mehr tragen.
Die Befragten berichten zudem, dass der muslimische Wachschutz, der sie eigentlich beschützen sollte, häufig selbst zum Täter wurde. „Nachdem wir von der Security Todesdrohungen bekommen haben, sind wir gemeinsam mit dem Pastor der Kirche zur Polizei gegangen und haben Anzeige erstattet“, erzählt ein Flüchtling.
Die meisten Betroffenen (80 Prozent) erstatten jedoch keine Anzeige – oft aus Angst vor weiteren, dann noch stärkeren Repressionen und der schlechten Erfahrung mit Strafverfolgungsbehörden in der Heimat.
„Das sind keine Einzelfälle“
Oft fehle bei den verantwortlichen Stellen das Bewusstsein für Religion als ausschlaggebende Motivation, moniert „Open Doors“. Stattdessen würden eher ethnische Konflikte, „Essenskonflikte“ oder „Alltagssituationen“ als Ursache von religiös motivierten Übergriffen angegeben.
Manchmal sei sogar die Heimleitung involviert: So soll ein christliches Ehepaar vom afghanischen Heimleiter schikaniert worden sein, heißt es in der Studie. Sie erhielten als „Ungläubige“ nach eigenen Angaben kein Bett und mussten monatelang auf dem Boden schlafen. Der Leiter habe außerdem ihre christlichen Gegenstände (Osterkerze, Bibel und Pfarrbrief) eigenhändig zerstört.
Die Organisationen appellieren an Bundeskanzlerin Angela Merkel, sich „dieser unerträglichen Situation von schweren Menschenrechtsverletzungen in Deutschland endlich zu widmen und dies zur Chefsache zu machen“. Es dürfe „keine weiteren Integrationsexperimente auf dem Rücken christlicher Flüchtlinge“ mehr geben.
„Das sind keine Einzelfälle – ich kenne keine Unterkunft von Garmisch bis nach Hamburg, wo wir nicht auf solche Fälle gestoßen sind“, sagt Paulus Kurt vom Zentralrat der Orientalischen Christen in Deutschland (ZOCD), der sich an der Studie beteiligt hat. „Ich habe Familien gesehen, die wegen Bedrohung freiwillig wieder zurückgekehrt sind.“
„Getrennte Unterbringungen sind keine Lösung“
Die Forderungen der Menschenrechtler im Original:
- Erfassung der Religionszugehörigkeit bei der Erstaufnahme und Weiterleitung der Daten bei Verlegung
- Zusammenlegung von Minderheiten, sodass der Anteil der Christen sowie anderer religiöser Minderheiten im Verhältnis zu den Muslimen in etwa gleich ist
- Getrennte Unterbringung von Christen sowie von anderen Minderheiten, die Opfer von Verfolgung geworden sind
- Adäquate Erhöhung des nicht-muslimischen Anteils innerhalb des Wachpersonals
- Regelmäßige Schulungen und Sensibilisierung der Mitarbeiter und des Sicherheitspersonals in den Unterkünften
- Mehr Vertrauenspersonen christlichen Glaubens
„Geflüchtete dürfen bei uns nicht das Gefühl haben, den gleichen Repressalien ausgeliefert zu sein, wie in ihren Heimatländern“, kommentiert der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Franz Josef Jung, gestern die Ergebnisse. Eine grundsätzlich getrennte Unterbringung nach Konfessionen könne jedoch nicht die Lösung sein „in einem Land, das die Religionsfreiheit als einen seiner Grundpfeiler ansieht“.
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