Stromversorgung: Die Energiewende stockt

Die Große Koalition hat das Projekt schleifen lassen. Wie die Parteien die Stromversorgung künftig angehen wollen, beleuchtet die AZ in Teil  fünf der Wahlkampfserie "Bilanz und Ausblick".
Martin Ferber |
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Noch wird in Deutschland im Durchschnitt nur ein Drittel des Stroms aus regenerativen Quellen wie Wind- oder Solar-Energie gewonnen. Fossile Energieträger wie Kernkraft oder Kohle decken weiterhin den Großteil des Strombedarfs
dpa Noch wird in Deutschland im Durchschnitt nur ein Drittel des Stroms aus regenerativen Quellen wie Wind- oder Solar-Energie gewonnen. Fossile Energieträger wie Kernkraft oder Kohle decken weiterhin den Großteil des Strombedarfs

Berlin - An Tagen, an denen die Sonne kräftig scheint und überall der Wind weht, ist das ehrgeizige Ziel der Energiewende in Deutschland fast erreicht. Dann läuft die Produktion von CO2-freiem Ökostrom auf Hochtouren und deckt, wie am 30. April, zwei Drittel des Stromverbrauchs in Deutschland, während gleichzeitig die Kohlekraftwerke heruntergefahren werden.

Und dennoch hat Deutschland in dieser Legislaturperiode seinen Ruf als Musterschüler beim Klimaschutz verloren, da der CO2-Ausstoß insgesamt nicht weiter gesunken, sondern sogar gestiegen ist. Was Schwarz-Rot in der Energiepolitik erreicht hat – und was nicht:

Die Bilanz

Am Abend des 12. Dezember 2015 konnte sogar die sonst so emotionslose Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) die Tränen der Rührung nicht zurückhalten. Eben hatten sich die 195 Mitgliedsstaaten der Pariser Klimakonferenz nach zähem Ringen auf ein neues Klimaschutzprogramm geeinigt, da brach es aus ihr heraus: "Wir haben heute alle zusammen Geschichte geschrieben."

Milliarden Menschen hätten lange darauf gewartet, dass die Weltgemeinschaft handelt und den Anstieg der Erderwärmung "möglichst" auf 1,5 Grad begrenzt. Im Namen der Bundesregierung versprach Hendricks, dass Deutschland seinen CO2-Ausstoß deutlich reduzieren und einen kompletten Ausstieg aus dem Kohlenstoff anstreben werde.

Doch zwei Jahre später sieht die Bilanz eher durchwachsen aus. Trotz der Energiewende, die nach dem Atomunglück von Fukushima 2011 von der damaligen schwarz-gelben Bundesregierung beschlossen wurde, ist Deutschland weit davon entfernt, seine Versprechen zu erfüllen. Bis 2020 sollte der CO2-Ausstoß um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 senken, bis 2030 sogar um mindestens 55 Prozent.

Doch bislang wurden erst 28 Prozent erreicht. Seit einigen Jahren steigt der CO2-Ausstoß sogar wieder. Und das obwohl mittlerweile 29 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien gewonnen wird, dessen Produktion die Stromkunden über die EEG-Umlage mit jährlich 25 Milliarden Euro fördern, Tendenz weiter steigend.

Denn zu den Paradoxien der Energiewende gehört es, dass ausgerechnet die Braunkohlekraftwerke, die am meisten klimaschädliche Treibhausgase ausstoßen, zu den Gewinnern des Umstellungsprozesses gehören und mehr Strom als noch zu Beginn des Jahrtausends produzieren. Gleichzeitig kam der Klimaschutz auch beim Autoverkehr und in der Landwirtschaft nicht voran.

Gleich zwei Mal kam es in dieser Legislaturperiode zu einer Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Entscheidende Neuerung: Neuanlagen werden ausgeschrieben, den Zuschlag erhält, wer mit der niedrigsten Förderung pro Kilowattstunde auskommt. Das dürfte den Ausbau der Erneuerbaren bremsen. Unverändert ein Problem der Energiewende ist auch der schleppende Netzausbau. Doch wie wollen die Parteien neuen Schwung in die Energiewende bringen?

Der Ausblick

CDU und CSU: Die Union bekennen sich in ihrem Wahlprogramm weiterhin zur Energiewende – der 2011 beschlossene Ausstieg aus der Atomenergie "war richtig". Der Umbau der Energieversorgung auf erneuerbare Energien sei "erheblich vorangekommen."

Damit der Strom langfristig für alle bezahlbar bleibe, setze man die "marktwirtschaftliche Heranführung und Systemintegration der erneuerbaren Stromerzeugung konsequent fort", heißt es, ohne dass Details genannt werden. Auch zu den Pariser Klimazielen bekennt sich die Union. Ein klarer Plan lässt sich aus dem Programm aber nicht herauslesen.

SPD: Die Sozialdemokraten  wollen Deutschland "zur energieeffizientesten Volkswirtschaft der Welt" machen. Gleichzeitig müsse Energie aber nicht nur umweltfreundlich, sondern auch bezahlbar bleiben. Angestrebt wird, die Energiewende auch in den Wärme- und den Verkehrsbereich zu tragen und den öffentlichen Gebäudebestand wie den öffentlichen Personennahverkehr "zu Vorbildern des nachhalten und energieeffizienten Verbrauchs" zu entwickeln.
Mieterinnen und Mieter sollen von der Einspeisung regenerativer Energien und einer eigenen Ökostromproduktion finanziell profitieren, den Einbau von modernen Anlagen der Kraft-Wärme-Kopplung will die SPD fördern.

Linke: Sie will, dass "die Vormachtstellung von Großkonzernen in der Energieversorgung beendet und die Energieversorgung umfassend bürgernah" erfolgt. Durch eine strukturelle Reform des EEG soll die Ökostromproduktion auf 70 Prozent bis 2030 und 100 Prozent bis 2040 erhöht werden, zur Finanzierung wird eine Abschaffung aller Rabatte für die Industrie gefordert.

Die Stromsteuer für Privat-Kunden soll gesenkt werden. Um zu verhindern, dass energetische Sanierungen zu höheren Mieten führen, ist ein stärkeres finanzielles Engagement der öffentlichen Hand nötig.

Grüne: Die Öko-Partei will "sofort" alle Atomkraftwerke und die 20 dreckigsten Kohlekraftwerke abschalten. Durch die Einführung eines gesetzlichen CO2-Mindestpreises sollen sich Investitionen in den Klimaschutz auch betriebswirtschaftlich lohnen.
Mit den Einnahmen werden die Stromsteuer abgeschafft, die EEG-Umlage reduziert und weitere Klimaschutzmaßnahmen finanziert. Den kompletten Ausstieg aus der Kohle wollen die Grünen in den kommenden vier Jahren "unumkehrbar einleiten".

FDP: Die Liberalen fordern einen "Neustart in der Energiewende" und sprechen sich dafür aus, sie zu einem gesamteuropäischen Projekt zu machen. "Strom soll dort produziert werden, wo die Standortbedingungen die geringsten Kosten erlauben." Nationale Alleingänge lehnen die Freien Demokraten ab. Der Ausbau der erneuerbaren Energien solle zudem dem freien Markt "mit allen Chancen und Risiken" überlassen werden.

AfD: Als einzige Partei bestreitet die selbsternannte Alternative für Deutschland die Aussage, dass der Klimawandel vorwiegend menschengemacht sei. Und auch die Energiewende sei eine "Fata Morgana". Das Ziel einer kohlenstofffreien Energieversorgung sei "technisch utopisch, ökonomisch unbezahlbar und schon deshalb unerreichbar, weil Deutschland nur mit 2,23 Prozent am weltweiten CO2-Ausstoß beteiligt ist".

Die AfD fordert daher die Kündigung des Pariser Klimaschutzabkommens, die Aufhebung des Klimaschutzplanes der Bundesregierung, die ersatzlose Streichung des EEG und die weitere Nutzung der bestehenden Kernkraftwerke

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