Streit um Stuttgart 21: Gauck als Vermittler?

Die Parteien wollen die aufgeheizte Stimmung beruhigen. Neue Proteste sind für Montagabend angekündigt. Wird durch die Abholzung der Bäume im Stuttgarter Schloßpark eine seltene Käferart bedroht?
von  Abendzeitung
Was zum Kuscheln für die Bäume. Stuttgart-21-Gegner haben als Zeichen des Protests kleine Stofftiere an die Stämme geheftet.
Was zum Kuscheln für die Bäume. Stuttgart-21-Gegner haben als Zeichen des Protests kleine Stofftiere an die Stämme geheftet. © dapd

Die Parteien wollen die aufgeheizte Stimmung beruhigen. Neue Proteste sind für Montagabend angekündigt. Wird durch die Abholzung der Bäume im Stuttgarter Schloßpark eine seltene Käferart bedroht?

STUTTGART Das Gelände rund um den Stuttgarter Hauptbahnhof bietet ein Bild, wie es nicht besser passen könnte zum erbitterten Streit um Stuttgart 21. Am Sonntag wurden unter Polizeischutz meterhohe Drahtzäune um die Baustelle aufgestellt – um Demonstranten fernzuhalten. In der Zwischenzeit musste sogar die Familie des Bahn-Chefs in Sicherheit gebracht werden – es gab mehrere Morddrohungen. Für Montagabend waren neue Proteste geplant.

Doch offenbar wollen alle Beteiligten jetzt ein wenig Ruhe in die Sache bringen: Quer durch alle Parteien sprachen sich Politiker dafür aus, einen neutralen Vermittler hinzuzurufen – als „Stimme der Vernunft“, wie es SPD-Chef Sigmar Gabriel ausdrückte. Grünen-Chef Cem Özdemir: „Was wir jetzt brauchen, ist die Beruhigung aller Leute“. Als erstes brachte Grünen-Verkehrspolitiker Werner Wölfle einen Namen ins Spiel: Er könnte sich eine Vermittlung von Ex-CDU-Generalsekretär Heiner Geißler vorstellen. FDP-Chef Guido Westerwelle schlug Ex-Präsidentschaftskandidaten Joachim Gauck vor. Er sei der beste Moderator, sagte der Vizekanzler in der FDP-Präsidiumssitzung. Auch die CDU signalisiert Gesprächsbereitschaft. Verkehrsministerin Tanja Gönner (CDU): „Wir wollen größtmögliche Bürgerbeteiligung, beispielsweise bei der Gestaltung der 100 Hektar Innenstadtfläche, die heute noch durch das Gleisfeld belegt sind.“ Problem: Grüne und SPD wollen nur reden, wenn es einen Baustopp gibt. Das aber kommt für die baden-württembergische Landesregierung nicht in Frage.

Darüber hinaus will die SPD weiter einen Volksentscheid: „Die Situation ist so verfahren, wie sie nur verfahren sein kann“, sagte Baden-Württembergs Ex-SPD-Chef Erhard Eppler. „Daher muss das Volk entscheiden, auch wenn es juristisch schwierig ist. Anders kriegt man diese Vergiftung der Atmosphäre nicht mehr heraus.“

Tatsächlich nimmt der Protest inzwischen krasse Formen an. Gegen Bahn-Chef Rüdiger Grube gab es sogar Morddrohungen (AZ berichtete). Er steht unter Polizeischutz. Sowohl der Bahn-Konzernsitz in Berlin als auch Grubes Wohnhaus in Calw im Nordschwarzwald werden bewacht. Laut „Stuttgarter Nachrichten“ haben Unbekannte Fotos von Grubes Ehefrau und seinen Kindern ins Internet gestellt. Grubes Familie sei kurzzeitig an einen geheimen Ort gebracht worden.

Derweil goss Baden-Württembergs Justizminister Ulrich Goll (FDP) trotz des Besänftigungskurses neues Öl ins Feuer. Er nannte die Demonstranten „wohlstandsverwöhnt“. „Die Menschen sind in zunehmender Zahl sehr unduldsam“, sagte Goll. Sie würden nur an sich, aber nicht an die kommende Generation denken.

Außerdem wurde bekannt, dass die Baumfällarbeiten möglicherweise rechtswidrig waren: Das Eisenbahnbundesamt hatte in einem Schreiben an die Deutsche Bahn gewarnt, es gebe bei den Baumrodungen Naturschutz-Bedenken. Grund: Im Stuttgarter Schlosspark lebt der unter Naturschutz stehende seltene Juchtenkäfer. Dieses Schreiben sei dem Stuttgarter Verwaltungsgericht aber nicht zugegangen. Dort hatte der Bund für Umwelt und Naturschutz noch versucht, die Baumfällarbeiten per Eilantrag zu stoppen – ohne Erfolg. Möglicherweise hätte das Gericht anders entschieden, hätte es den Brief gekannt.

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