Streit um Paragraf 219a StGB: Erster Groko-Krach schon vor der Regierungsbildung
Berlin - Die Große Koalition ist noch nicht einmal im Amt, da tobt bereits der erste ordentliche Koalitionskrach. Und er nimmt derart an Schärfe zu, dass er den Start der Bundesregierung am Mittwoch überschattet.
Es geht um den Paragrafen 219a des Strafgesetzbuches, der es Ärzten verbietet, für Schwangerschaftsabbrüche Werbung zu machen (AZ berichtete). Die Union will am Paragrafen nicht rütteln, die SPD will ihn ändern und Ärzten erlauben, "objektiv über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren". Da auch Grüne und Linke für eine Abschaffung des Paragrafen sind und die FDP ebenfalls am Werbeverbot rüttelt, könnte es eine Mehrheit gegen die Union geben – mit einer Regierungspartei, die gemeinsame Sache mit der Opposition macht.
Eigentlich ist die Sache im Koalitionsvertrag klar geregelt. "Im Bundestag und in allen von ihm beschickten Gremien stimmen die Koalitionsfraktionen einheitlich ab", heißt es auf Seite 175 des Vertrags. Und weiter: "Wechselnde Mehrheiten sind ausgeschlossen".
"Verstärkt den Eindruck, dass die Sozialdemokraten ein unsicherer Partner sein werden"
Doch im Falle des Werbeverbots für Abtreibungen handelte SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles in einer mündlichen Vereinbarung eine Ausnahmeregelung aus: Da der Bundestag in erster Lesung die Gesetzentwürfe bereits behandelt habe, also in einer Zeit, in der der Koalitionsvertrag noch nicht unterzeichnet war, sei die SPD in diesem Fall nicht an den Vertrag gebunden. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Volker Kauder hätten diese Argumentation akzeptiert, heißt es bei der SPD.
In der Union regt sich massiver Widerstand. "Das Vorgehen der SPD, die unmittelbar vor Bildung einer gemeinsamen Regierung schnell noch mit Oppositionsparteien einen Gesetzentwurf gegen den alten und neuen Koalitionspartner einbringt, verstärkt den Eindruck, dass die Sozialdemokraten ein unsicherer Partner in der neuen Koalition sein werden und ihre Themen ohne Rücksicht auf Verluste durchsetzen werden", kritisieren die im "Berliner Kreis" organisierten konservativen Abgeordneten der Unionsfraktion. Die Bundeskanzlerin müsse endlich klarstellen, "dass so ein Vorgehen, bei dem es um den Schutz des ungeborenen Lebens geht, nicht hinzunehmen ist, wenn man eine Koalition eingehen will", sagt Sylvia Pantel, die Sprecherin der Konservativen.