Stimmung vor der Wahl: "Es brodelt und rumort"

Eine neue Studie liefert erstaunliche Ergebnisse: Die Deutschen sehen ihr Land pessimistisch, aber sie wollen trotzdem nichts ändern. Warum?
Christoph Driessen |
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Rheingold-Institutsleiter Stephan Grünewald.
Rolf Vennenbernd/dpa Rheingold-Institutsleiter Stephan Grünewald.

Berlin - Es ist wenig erstaunlich, dass die meisten Menschen über den Wahlkampf in Deutschland so denken: ziemlich öde, da ein Sieg Bundeskanzlerin Angela Merkel festzustehen scheint. Aber ist da nicht noch etwas anderes?

Das Marktforschungsinstitut Rheingold hat 50 Wähler in ausführlichen Gesprächen befragt und dabei festgestellt: "Unter der Oberfläche brodelt und rumort es." Dies gelte nicht nur für AfD-Sympathisanten, sondern für große Teile der Bevölkerung, sagt Institutsleiter Stephan Grünewald. Die Wähler sehen Deutschland dieser Studie zufolge als verwahrlostes Land mit maroden Schulen, No-Go-Areas, ständigem Verkehrskollaps und geheimen Absprachen zwischen Politikern und Industrie. Außerdem beklagen sie soziale Ungerechtigkeit.

Thema Flüchtlinge: Wähler mit ambivalentem Bild

Auch das Thema Flüchtlinge sei keineswegs abgehakt. Hier ergibt sich demnach folgendes Bild: Die Wähler sind noch immer hin- und hergerissen. Auf der einen Seite haben sie Mitleid und wollen helfen. Auf ander anderen Seite fürchten sie, "von dem Fremden verschlungen zu werden, ihr Land nicht wieder zu erkennen".

Von den Politikern erwarten die Wähler in dieser Situation Orientierung: Wie soll das "Wir schaffen das!" konkret umgesetzt werden? Aber auf diese Frage – so die Teilnehmer der Studie – bleiben Politiker die Antwort schuldig. "Die Wähler sind vom Wahlkampf enttäuscht", fasst Grünewald zusammen.

An diesem Punkt stellt sich die Frage: Wenn dem so ist, warum schneidet die CDU dann in den Umfragen so gut ab? Warum hat die vom Allensbach-Institut gemessene Zustimmung zu Bundeskanzlerin Angela Merkel wieder den gleichen hohen Wert wie vor der Flüchtlingskrise erreicht?

Darauf antwortet Psychologe Grünewald: Die Wähler glauben, dass sie Merkel trotz aller Vorbehalte brauchen – als "moderne Raubtier-Dompteuse" und "Schutzheilige der Nation". Stichwort "äußere Bedrohung": Die Alpha-Männchen Trump, Putin und Erdogan sind die besten Wahlhelfer. Martin Schulz könne nicht mit ihr konkurrieren, denn die ursprüngliche Hoffnung auf eine zupackende Vaterfigur habe der SPD-Herausforderer nicht erfüllt: "Er gilt als lieber Onkel."

Wahlbeteiligung steigt wieder deutlich an

Aber längst nicht alle Experten sind von den Ergebnissen der Studie überzeugt. "Ich sehe die Stimmungslage keineswegs so negativ", sagt der Parteienforscher Jürgen Falter. "Es gibt natürlich nach wie vor eine gewisse Unzufriedenheit mit der Flüchtlingspolitik, aber das ist für viele nicht mehr das primäre Thema. Vielmehr spielen Sicherheit und Terrorismus eine wichtigere Rolle.

Einige Aspekte werden aber auch durch repräsentative Umfragen belegt. So wäre es falsch, von dem undramatischen Wahlkampf auf ein Desinteresse der Bürger zu schließen. Dagegen spricht schon, dass die Wahlbeteiligung in den vergangenen beiden Jahren deutlich gestiegen ist. Das Allensbach-Institut hat zudem festgestellt, "dass die Bürger wieder wesentlich mehr über Politik diskutieren".

Für den Politikwissenschaftler Uwe Jun beschreibt die Rheingold-Studie eine Stimmungslage, wie sie derzeit in vielen demokratischen Gesellschaften zu beobachten ist: "Die Lücke zwischen den politischen Entscheidungsträgern und den Wählern wächst, weil die komplexen Folgen der Globalisierung mit ihren vielen Unsicherheiten kaum umfassend bewältigt werden können."

In diesem Zusammenhang haben viele Bürger Erwartungen an die Politik, die in einer globalisierten Welt nur schwer zu erfüllen sein dürften – auch, wenn nach einer Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung 78 Prozent der Bevölkerung wollen, dass ihnen der Staat vor allem ein Gefühl vermittelt: Geborgenheit.

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