Stephan Bierling: "Donald Trump hat das noble Amt des Präsidenten entwertet"
Stephan Bierling leitet die Professur für Internationale Politik und transatlantische Beziehungen an der Universität Regensburg. Im AZ-Interview zieht er Bilanz und erklärt unter anderem, weshalb die Republikaner dem exzentrischen Multimilliardär ausgeliefert sind.
AZ: Herr Professor Bierling, seit dem 20. Januar 2017 ist Donald Trump nun US-Präsident. Wie fällt Ihre Bewertung für das erste Jahr aus?
STEPHAN BIERLING: Er hat uns viel an Drama und Durcheinander geboten. Er hat das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten in neue Tiefen geführt, was moralische Führung und Kompetenz anbelangt. Man glaubt bei Trump, er kann nicht tiefer sinken, und er belehrt uns jeden Tag eines Besseren.
War es wirklich so verheerend? Seine Wähler halten weiter zu ihm.
Ja, seine Hardcore-Wähler, die ihn damals ins Weiße Haus gebracht haben, stehen nach wie vor zu 95 Prozent hinter Trump. Er hat mit seiner Anti-Establishment-Politik, mit Tabus zu brechen, das getan, was viele seiner Wähler von ihm erwarten. Das ist für das politische System der USA eine Katastrophe. Nicht so sehr was seine reale Politik anlangt. Da hat er in der Innen- und Außenpolitik relativ wenig umsetzen können. Er hat aber das noble Amt des Präsidenten entwertet.
Den Demokraten fehlt eine starke Persönlichkeit
Ausgebremst wurde er vor allem auch durch die eigene Partei. Wie ist das Verhältnis der Republikaner zu Trump?
Die Partei ist ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Er hat diese Partei sozusagen 2016 in einer feindlichen Übernahme übernommen, als er ihr Kandidat wurde. Die Republikaner haben weder das Rückgrat noch die politische Klugheit, sich von diesem Präsidenten zu distanzieren. Es gibt aber mit ihm nur zwei Erfolge. Der offensichtlichere: die Steuerreform. Der weniger offensichtliche: Er hat sehr viele Bundesrichter durchgesetzt, die diese Wendung nach rechts über Jahre oder gar Jahrzehnte hinaus zementieren werden.
An wirklichen Gesetzen bleibt außer einer Steuerreform sowie einer Vielzahl von Dekreten nicht viel übrig. Was erwarten Sie noch von ihm?
Auf Gesetzesebene wird er nicht sonderlich viel mehr bringen können. Die Rücknahme von Barack Obamas Gesundheitsreform wird nicht stattfinden. Er wird weiter versuchen, mit Dekreten Regulierungen vor allem im Umweltbereich außer Kraft zu setzen. Aber er wird natürlich die Demokraten weiter in der Defensive halten. Das ist für ihn ein Erfolg. Die Demokraten sind so darauf fixiert, Trump anzugreifen. Ihnen ist es bisher nicht gelungen, ein weltanschaulich kohärentes Gegenmodell und vor allem eine Person aufzubauen, die Trump in die Defensive drängen kann.
Er hat aber doch auch Bewegung in die Weltpolitik gebracht, etwa im Nahen Osten.
Bewegung ist kein Wert an sich, sondern Stabilität und Vertrauen. Hier hat Trump seine übelsten Ankündigungen aus dem Wahlkampf nicht wahr gemacht. Denken Sie daran, dass er die Nato für obsolet erklärt hat. Aber sein erratisches Verhalten, sein Kungeln mit Diktatoren wie Wladimir Putin, hat amerikanische Außenpolitik weniger berechenbar gemacht. Das hat Bündnispartnern den Angstschweiß auf die Stirn getrieben. Das ist wahrscheinlich die größte negative Hinterlassenschaft der Trump-Präsidentschaft, die wir schon nach einem Jahr festhalten können: der völlige Vertrauensverlust in die USA.
"Die Bundesregierung ist konsterniert und frustriert"
"Dreckslochländer", mögliche Affäre mit einer Erotikdarstellerin: Wie viel kann sich ein Präsident denn leisten?
Niemand hätte sich träumen lassen, was sich Trump alles leisten kann. Er hat das Präsidentenamt schwer beschädigt. Der US-Präsident ist mehr als ein Regierungschef, er ist die Symbolfigur der Einheit der Nation. Manche bezeichnen ihn als Hohepriester der moralischen Autorität. Das wird viele Jahre dauern, bis andere Präsidenten diesem Amt wieder alten Glanz verleihen können.
Wie hat sich denn Trumps Politik bereits auf die der Bundesregierung ausgewirkt?
Die Bundesregierung ist konsterniert und frustriert über das, was sie da so aus Washington hört. Trump ist und bleibt ein Unruheherd. Das deckt auch die Schwächen der deutschen und europäischen Politik auf. Wir haben uns nie systematisch darauf vorbereitet, eine eigenständige Außenpolitik zu betreiben. Die Bundeswehr ist in einem schlechten Zustand. Das ist eine Katastrophe. Jetzt bekommen wir dafür die Quittung.
Sie hatten eine Kiste besseren Weines darauf gewettet, dass Trump nicht Präsident wird. Würden Sie darauf wetten, dass der Trump-Spuk nach einer Amtszeit vorüber ist?
Oh, ich habe gelernt. Ich musste drei Flaschen guten Weines bezahlen. Trump war ein völlig unwahrscheinlicher Präsident. Das ist nach wie vor der Fall. Auch seine Wiederwahl ist eher unwahrscheinlich. Aber eines hat uns Trump gelehrt - und das muss man anerkennen -, dass er ein Mann ist, der die Stimmung im Land besser verstanden hat, als Professoren und Journalisten. Beim nächsten Mal werde ich bestenfalls eine Flasche billigeren Weins auf seine Niederlage wetten.
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