Steinmeier: "Ich trink' jetzt ne Flasche Bier"
Brüder, zur Sonne: Frank-Walter Steinmeier und Bayerns Oppositionsführer Markus Rinderspacher auf Bergtour. Die AZ war dabei
BAD TÖLZ „Schau mal, da ist der Steinbrück!“, sagt ein Vater seinem Sohn, als diesen beim Aufstieg zum Zwiesel die SPD-Karawane entgegenkommt. Als nur fünf Minuten später ein weiterer, sehr entgegenkommender Vater seine Teenager belehrt: „Wisst ihr, wer das war? Das war der SPD-Kanzlerkandidat!“ ist für einen mitwandernden Genossen das Maß voll: „Das ist der Frank-Walter Steinmeier, der ist Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Merkt’s euch das und macht im September das Kreuz an der richtigen Stelle“, ruft er der Gruppe zu.
Dabei hatte die „SPD-Bergauf-Tour“ des Oppositionsführers vom Blomberg auf den Zwieselberg erhebend begonnen: Mit seinem bayerischen Amtskollegen Markus Rinderspacher überwand er mühelos 518Höhenmeter zwischen Tal- und Bergstation im Zweiersessel. Steinmeier kann auch ganz anders: Der 57-Jährige ist begeisterter Bergwanderer. Nach den Terminen in Bayern macht er heuer zum dritten Mal in Folge wieder in den Alpen Urlaub – er plant eine zwölftägige Tour in den Dolomiten.
Die Berge sind also gewohntes Terrain für den ehemaligen Außenminister, der im Lipperland aufgewachsen ist. Ein Landstrich, der für seine Bücher (Bertelsmann) oder seine Geschirrspülmaschinen (Miele) bekannt ist und oftmals unter der für Bayern irritierenden und eigentlich irreführenden Bezeichnung Ostwestfalen firmiert. Auch Altkanzler Gerhard Schröder stammt von hier. Die nächstgrößere Stadt für beide, in der Steinmeier auch zur Schule gegangen ist, heißt – Blomberg.
Der SPD-Fraktionschef ist in Blomberg zur Schule gegangen
Steinmeier kann sich auf dem Hausberg der Tölzer quasi daheim fühlen. Nach einigen richtungsweisenden Worten an der Bergstation fragt er kurz: „Kennt jemand den Weg?“ – und legt los. Er stapft über den breiten Fahrweg Richtung Zwiesel. Im Gefolge: Etwa 70 SPD-Mitglieder – vom Bundestagskandidaten bis zur Partei-Novizin, viele von ihnen aus Rinderspachers Heimat Trudering.
Der Himmel ist fast wolkenlos, die Sonne strahlt, ein silberhaariger, gestandener Genosse strebt dem Gipfel entgegen – würde es heute, nach 95 Jahren, einen Videoclip zur SPD-Parteihymne „Brüder zur Sonne, zur Freiheit“ geben, er sähe wohl so aus.
Richtig pittoresk wird es, als Frank-Walter Steinmeier an der Specker Alm Halt macht. Hier hat es alles, was Bayern ausmacht: Grüne Wiesn, Kühe, einen imposanten Ausblick ins Tal und auf die Gipfel gegenüber. Und die Hütte von Otto und Gabi Mühlböck. Es ist ihre erste Saison hier, 36 Jungtiere und einen Ochsen haben sie zu versorgen. Der 54-Jährige hat früher bei der Post gearbeitet, war dort sogar Betriebsrat – bis die Gesundheit nicht mehr mitmachte und er auf die Alm zog. Dass plötzlich Franz-Walter Steinmeier vor ihm steht, überrascht ihn. Seine Frau und er wussten nichts von der Bergauf-Tour der SPD. „Er ist ja nicht unsympathisch“, sagt Mühlböck über Steinmeier. Mehr nicht.
Der jüngste Bundestagskandidat kommt aus der SPD
Steinmeier nimmt in der Sonne vor der Hütte Platz. Klaus Barthel und Tim Weidner setzen sich zu ihm – der erstere sitzt für die SPD im Bundestag, der letztere will in den Landtag. Markus Rinderspacher blinzelt in die Sonne, neben ihm hat Abuzar Erdogan Platz genommen. Der 19-Jährige, der in München Jura studiert, kandidiert in Rosenheim für den Bundestag – der jüngste Kandidat, den eine im Bundestag vertretene Partei für die Wahl am 22.September aufgestellt hat.
Zeit für ein Getränk. „Ich trink’ jetzt ’ne Flasche Bier“, sagt Frank-Walter Steinmeier. Jetzt klingt er fast wie Gerhard Schröder. Kein Wunder, immerhin hat er zwölf Jahre lang als Staatskanzlei-Chef und Kanzleramtsminister eng mit ihm zusammengearbeitet. „Nach Bayern komm ich gern, da verhungert und verdurstet man nicht zwischen den Terminen“, scherzt er. Besonders begeistert ist er von der bayerischen Bierzelt-Kultur. „Die sind sogar bei unseren Veranstaltungen voll, dabei können das doch gar nicht alles SPD-Mitglieder sein“, nimmt er die Genossen im Freistaat auf die Schippe.
So bedächtig, so knarzend in Wehner-Tradition er sich im Gespräch gibt – Richtung Gipfel setzt er zum Spurt an: Trittsicher und mit erhöhtem Tempo nimmt er den Hang zum Gipfelkreuz und trifft dort glatt eine Viertelstunde früher als geplant ein – trotz einigen Schlucken Tegernseer Hell auf der Alm. Steinmeier ist fit. Seit Silvester 2009 raucht er nicht mehr – „es war nicht der erste Versuch, aber diesmal hat es geklappt.“ Die Zigaretten vermisst er nicht – „dabei haben die Rauchverbote sicherlich geholfen“.
Acht Monate, nachdem er das Rauchen aufgehört hatte, spendete er seiner Frau Elke eine Niere. Das Wandern genießt er: „Irgendwann kann man sich ja nur auf die nächsten Schritte konzentrieren, da ist Berlin ganz schnell ganz weit weg. Und man hat einen tollen Blick auf die Gipfel und die Mühsalen der Täler.“
Viel unterwegs für viele Kreuze
Auf 1348 Metern angelangt, nimmt Steinmeier sich viel Zeit, ins Gipfelbuch zu schreiben. „Wird das ein Roman?“, fragt Markus Rinderspacher. „Ja, aber einer mit Happy End“, sagt Steinmeier. „Das Gipfelkreuz schien vor drei Stunden fast unerreichbar“, notiert Steinmeier in der schwarz-roten Kladde. „So ist das mit den Kreuzen! Wir werden noch viel unterwegs sein für viele Kreuze am 15. und 22. September!“
Und was dann? Was passiert, wenn es bei der Bundestagswahl nicht für Rot-Grün reicht? Wenn die einzige Möglichkeit eine große Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel ist? SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat bereits ausgeschossen, dass er dafür zur Verfügung steht - was ist mit Steinmeier? Der sagt, dass er nicht viel von „Ausschließeritis“ hält. Allerdings müsste eine erneute Verbindung mit der Union auch die Gnade der Basis finden – und ob die bei einem Parteitag nach der Wahl diesem Bündnis zustimmt, erscheint mehr als fraglich.
Obwohl Rinderspacher ihn rückblickend auf 2005 bis 2009 als „Motor der großen Koalition“ bezeichnet, denkt Steinmeier lieber an Rot-Grün zurück: „Das sind Jahre, auf die man stolz sein kann. Dass es uns jetzt so gut geht, dass Deutschland so gut aus der europäischen Krise gekommen ist: Das waren wir! Damit haben Merkel und Rösler nichts zu tun“, redet er den Hartz-verstörten bayerischen Genossen ins Gewissen.
Vor dem Bund wählt am 15.September Bayern – und auch hier liegt fast uneinholbar die Union vorn: „Lasst die Umfragen Umfragen sein“, rät er am Abzweig zur Mittelstation den SPD-Mitgliedern. „Da ist noch viel drin. Und seit heute weiß ich: Die Bayern-SPD kann auch aufwärts.“ Was das in Prozentzahlen heißen könnte, darauf will sich Steinmeier nicht festlegen. „Das habe ich bei meiner Kandidatur damals auch nicht gemacht. Und das war auch gut so“, ergänzt er lachend. Die SPD holte 2009 mit ihm als Spitzenkandidat 23 Prozent. Das sind fast bayerische Verhältnisse. So etwas bleibt in Erinnerung.