Steinbrücks Bergpredigt in Bayern
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück erklimmt den Lusen im Bayerischen Wald. „Wahlkampf ist nichts für die Beladenen“ sagt er am Gipfelkreuz
MÜNCHEN Dass oben auf dem Gipfel der Berge das Glück liegt, das ist auch so ein Klischee. Es gibt eine Menge davon an diesem Tag. Für Peer Steinbrück stimmt das mit dem Gipfelglück wenigstens halb. Gerade hat ihn eine kleine vorlaute Delegation der Jungen Union empfangen: „Von nun an geht's bergab“ steht auf ihrem Riesen-Plakat, auf 1300 Metern Meereshöhe.
Ärgerlich eigentlich. Es hätte ein peinlicher Moment werden können auf der Sommertour des Kanzlerkandidaten im Bayerischen Wald. Aber auf dem Schweiß treibenden Weg zum Lusen zeigt der steife Mann aus dem Norden, dass er besser ist als sein Ruf. Der Hamburger tritt nicht in das bereitgestellte neue Fettnäpfchen: „Ach. ihr seid gar nicht von der SPD“, sagt er, „kommt ihr von der CSU erst mal aus der Fettnapf-Badewanne“, sagt er und geht weiter.
Ungewöhnlich locker gibt sich der Kandidat hier oben - und wird gleich belohnt mit einer Szene, die man nicht bestellen kann. Fanelisebonge Buthelezi ist auch hier oben, zusammen mit einer Schülergruppe aus Südafrika. Die Teenager haben von ihren Passauer Austauschpartnern gehört, dass dieser Mann „the next chancellor of Germany“ werden will. Und da kann ja mal freundlich sein. Also stellt sich die hübsche Fanelisebonge mit ihren süßen Locken neben den unbekannten Promi - und stimmt ein Xhosa-Wanderlied aus ihrer Heimat an.
Klänge vom anderen Ende der Welt, unterm vergoldeten Gipfelkreuz im Bayerwald, davor ein strahlender Spitzenpolitiker im Borsalino-Hut. Das hat was. Mehr solcher Momente wären schön, aber es läuft bekanntlich nicht so gut für Steinbrück.
„Ach hört doch endlich auf, euch so auf die Umfragen zu stürzen“, sagt er beim Anstieg durch den Wald. Da ist es noch schattig und der 66-Jährige ist noch gut bei Puste: „30 bis 40 Prozent sind noch unentschieden“, bellt er. Was man halt so sagt, wenn man hinten liegt:
„Die SPD muss nur einen Swing von drei Prozent hinkriegen“, sagt er, „dann sieht die Sache schon ganz anders aus.“ Die Arithmetik ist so zweifelhaft wie die Demoskopie. Aber es muss aufwärts gehen, und die „Bergauf mit der SPD“-Tour bietet sich als Sommer-Termin geradezu an. Olaf Scholz war schon in den Alpen, Frank Walter Steinmeier und Manuela Schwesig auch, die Nordlichter lassen sich gerne sehen und ablichten in schöner bayerischer Berglandschaft.
Da darf die Top-Hoffnung der Sozis nicht fehlen: „Schließlich sind hier ein Prozent plus für uns wichtiger als ein Prozent plus in Hessen“ sagt Bundestagskandidatin Rita-Hagl-Kehl. Wie viel war's das letzte Mal für sie? „18 Prozent“ sagt die Gymnasiallehrerin in Grafenau. Sie ist Kummer gewohnt: „Es war aber mehr, als die SPD gekriegt hat.“
Der Kanzlerkandidat gibt mittlerweile alles. Die Bäume werden dünner, die Hemden nasser, der Weg steiniger. Es ist eine eigentümliche Landschaft hier im Nationalpark Bayerischer Wald. Wie Masten ragen die abgestorbenen Bäume grausilbern in den blauen Himmel: „Das war der Borkenkäfer“, sagt der Bezirkschef der Sozis und: „Es kommt aber alles wieder.“ Tatsächlich wachsen zarte Fichten aus dem Unterholz.
Mancher mag sich gefragt haben, ob es eine gute Idee war, den Kandidaten in eine karge Kulisse gelotst zu haben. Die ist zwar faszinierend. Aber lieblich ist was anderes, dem Klischee satter Almen und fruchtbarer Wiesen entspricht sie nicht. Der benachbarte Arber wäre auch gegangen, sagen Ortskundige. Aber das ist die Heimat von Konrad Adam. Der hat zwar für die SPD als bekennender Schwuler sensationell die Landratswahl gewonnen. Aber der SPD-Star kann Bayern-Chef Pronold nicht ausstehen.
Und deshalb wird's am Schluss richtig steil. „Himmelsleiter“ heißt die Passage. Stufen aus bemoostem Granit führen über ein Felsenmeer. „Der Weg zum Himmel ist mit Steinen gepflastert“, sagt Pronold, und der Chef der Bayern-SPD bestreitet entschieden, tagelang an dieser Metapher getüftelt zu haben. Sie gefällt ihm so gut, dass er sie mehr als dreimal wiederholt.
Ob das Kanzleramt der Himmel ist, für Steinbrück, das ist fraglich. Ob er es erreichen wird, noch fraglicher. Aber er will nicht aufgeben. „Wir gehen jetzt auf den Mount Everest“ hat er zu Beginn der Tour gesagt, und vielleicht meinte er den Weg zum Wahlsieg. „Fünf Millionen Hausbesuche wollen wir machen“, sagt er, als sei das das Leichteste der Welt. „Da ist noch alles drin.“
Es klingt alles ein wenig schnodderig, brüsk, was der Kandidat so formuliert, selbst sein Bekenntnis zu den Bergen: „Allgäu, Wallis, kenn' ich alles“, kommt eher rüber wie ein Leistungsnachweis denn als Ausdruck schwärmerischer Bewunderung. Nein, Wahlkampf sei „nichts für die Bedrückten und Beladenen“, sagt er schweißnass am Gipfel – die Wortwahl erinnert an die Bergpredigt.
Entscheiden dementiert er Blasen an den Füßen und die Meldung, er werde noch eine Woche auf Gran Canaria ausspannen. „Was für ein Blödsinn.“ Nein, dieser Mann, der hier in einer der bekanntesten deutschen Urlaubsregionen unterwegs ist, ist bei der Arbeit. Sie ist noch lange nicht fertig.