Steinbrück mahnt SPD zu Realismus
Der mögliche SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat seine Partei auf einen pragmatischen Kurs eingeschworen, um wieder stärkste politische Kraft in Deutschland zu werden.
Berlin - "Wir müssen der Versuchung widerstehen, den Menschen mehr zu versprechen, als wir halten können".
Das sagte der frühere Bundesfinanzminister am Dienstag beim SPD-Bundesparteitag in Berlin. Sonst koste das Glaubwürdigkeit und die SPD liefere dem politischen Gegner unnötig Munition. Er wandte sich klar gegen Forderungen der Parteilinken von einem Spitzensteuersatz für Gutverdiener von 52 Prozent.
"Die SPD ist die Partei, die das Bündnis zwischen den Starken und den Schwachen organisieren muss", forderte Steinbrück. Der 64-Jährige bekannte sich klar zu einem gesetzlichen Mindestlohn. "Wer sein Geschäftsmodell auf Niedriglöhnen aufbaut, hat kein Geschäftsmodell." Er setzte sich auch für eine bessere Bezahlung von Frauen ein und rief seine Partei dazu auf, mit mehr Selbstbewusstsein darüber zu reden, was die SPD in den vergangenen zehn Jahren erreicht habe.
Die SPD müsse mit ihren Konzepten mehrheitsfähig werden, "um Frau Merkel und ihre Regierung in den Vorruhestand zu schicken". Dafür brauche die SPD aber realitätsnahe Konzepte. "Der Maßstab ist die Öffnung", sagte Steinbrück. Nur so könnten Wahlen gewonnen werden. Die SPD dürfe sich nicht nur auf das Parteiverträgliche zurückziehen.
Der CDU warf er gerade beim Mindestlohn falsches Spiel und eine Vernebelungstaktik vor. "Ich ärgere mich mit Euch über den schamlosen Betrug der CDU bei der Einführung einer Lohnuntergrenze", rief er den Delegierten zu. Ebenso ärgere ihn, dass die Regierung zu wenig tue, um rasch eine Finanztransaktionssteuer einzuführen.
Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) warf er bei ihren Lösungsversuchen in der Eurokrise fehlenden Zugang zur europäischen Geschichte vor. "Europa ist nicht Physik", sagte Steinbrück. Er spielte damit auf Merkels Ausbildung als Physikerin und ihr Herangehen an die europäische Schuldenkrise an.
"Europa ist viel mehr", sagte Steinbrück und erinnerte an die Rede von Altkanzler Helmut Schmidt zum Auftakt des Parteitags. Zudem würde die Bundesregierung in Europa als Schulmeister auftreten, zu Hause aber Steuergeschenke verteilen und die Neuverschuldung erhöhen.
Steinbrück betonte, Europa stehe am Scheideweg. "Zerfällt die europäische Union in einen losen Staatenbund, reduziert auf einen Binnenmarkt?" Oder gehe man den Weg einer vertieften Integration, fragte der 64-Jährige. Er warnte vor einer Renationalisierung in Europa. Steinbrück forderte ein Verbot von Spekulationen auf Nahrungsmittelpreise und des Handels mit Kreditausfallversicherungen.
Angesichts des Einflusses von Rating-Agenturen und Finanzmärkten mahnte er das Zurückgewinnen des Primats der Politik an. "Bei wem liegt eigentlich der Taktstock des Geschehens?", fragte der Hanseat.
"Das Volk ist der Souverän, nicht der Markt", sagte Steinbrück. "Wir müssen zurück zu einer echten sozialen Marktwirtschaft." Es sei eine Ironie der Geschichte, dass die SPD die CDU an die Grundsätze von Ludwig Erhard erinnern müsse. Auch die SPD habe sich dem Glauben an die Kraft des freien Marktes "zu lange, zu widerstandslos ergeben", sagte er mit Blick auf Deregulierungen im Finanzmarktbereich zur Zeit der rot-grünen Bundesregierung.
Nach seiner Rede bekam Steinbrück Applaus von seinen möglichen Konkurrenten im Rennen um den Kanzlerkandidaten. Parteichef Sigmar Gabriel und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier positionierten sich rechts und links von ihm auf dem Podium und klatschten ihm Beifall. Zum Ende der 40-minütigen Rede hatte Steinbrück den Delegierten zugerufen: "Das Entscheidende ist: Wir gehen zusammen".
Bereits zum Beginn seiner Rede hatte Steinbrück Gabriel zu dessen Wiederwahl als SPD-Chef mit 91,6 Prozent gratuliert. "Hättest Du noch ein besseres Ergebnis erzielt, würde ich Dich Erich nennen", sagte er in Anspielung auf den einstigen SED-Parteichef Erich Honecker. Die Parteispitze hatte betont, der Bundesparteitag sei keine "Casting-Show" für die K-Frage der SPD. Eine Entscheidung falle Ende 2012, Anfang 2013.
Bei der anschließenden Steuerdebatte wurde eine Kontroverse über den richtigen Kurs erwartet. Auch der bayerische SPD-Spitzenkandidat, Münchens Oberbürgermeister Christian Ude, warb für eine Steuerpolitik mit Augenmaß. Mit Beratungen zur Gesundheitspolitik soll der dreitägige Bundesparteitag am Nachmittag zu Ende gehen.