Starker Drehhofer
MÜNCHEN Erst war Horst Seehofer sauber angefressen, als die SPD die Internetseite „Drehhofer.de“ ins Leben gerufen hat mit all seinen politischen Wenden. „Schmutzigen Wahlkampf“ warf er seinem Herausforderer Christian Ude vor, der damit wirbt, Wort zu halten. Inzwischen aber hat Seehofer seine Meinung mal wieder geändert – und die Schwäche in eine Stärke umgewandelt. Nun prahlt er mit seinem „Drehhofer“-Image: Der größte Irrtum sei, am Irrtum festzuhalten.
„Die Bevölkerung interessiert nicht, was der Seehofer irgendwann 2009 auf einem Parteitag gesagt hat, sondern die interessiert jetzt die Entscheidung“, erklärt er. Das seien alles Entscheidungen, die die Bürger wollen.
Dabei hat Seehofer auch noch eine spezielle Disziplin: die angetäuschte Kehrtwende! Dass der US-Geheimdienst die Internetdaten der Deutschen abfängt, sie auch noch abhört bis hin zur Kanzlerin und alle Daten speichert, könnte zum großen Wahlkampfthema werden. Da möchte sich Seehofer gleich zum obersten Datenschützer aufschwingen. Nur dumm, dass er und die Union seit Jahren für die massenhafte Speicherung für Vorratsdaten kämpfen. Im Falle eines Verbrechens sollen Ermittler darauf Zugriff haben. SPD, Grüne und auch der Koalitionspartner FDP sind strikt dagegen.
So ließ Seehofer nach Information von sueddeutsche.de jetzt bei ausgewählten Journalisten lancieren: „Wir wollen die Vorratsdatenspeicherung doch auch gar nicht mehr. Seht her, sie steht nicht im aktuellen Regierungsprogramm.“
Dabei stand das Wort schon bei der letzten Bundestagswahl 2009 nicht mehr im Programm. Die Partei habe lediglich einen anderen Begriff gewählt, stellte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe am Freitag richtig, weil Vorratsdatenspeicherung häufig missverstanden werde.
Im Wahlprogramm spricht die Union von „Mindestspeicherfristen“. Gröhe: „Inhaltlich und substanziell gibt es keinen Unterschied.“ CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich hatte schon 2011 von einer „Mindestdatenspeicherung“ gesprochen, weil’s schöner klingt: „Dieser Begriff ist besser, denn bei Vorratsdatenspeicherung wird man merkwürdig angeschaut.“
Etikettenschwindel hatte Seehofer auch schon beim Mindestlohn versucht. Anfang des Jahres, bei der CSU-Klausur in Kreuth, ließ er ein Interview aus dem Jahre 2008 verbreiten. Als Beleg, dass er, der „Herz-Jesu-Politiker“, schon immer für einen Mindestlohn gewesen sei. Der Haken: Seehofer will nur einen tariflichen, aber keinen gesetzlichen Mindestlohn.
In Stein gemeißelt ist aber nichts. Wenn zur Wahl noch weitere Wenden nötig sein sollten, wird Seehofer sie vollziehen.
Irrtümern sind er und seine CSU offensichtlich bei vielen Grundsatzentscheidungen unterlegen. Nach Atom, Donauausbau, Studiengebühren, roten Linien zur Eurorettung und dem Fall Gustl Mollath kam jetzt die Volte beim Asyl.
Nach dem Hungerstreik mitten in München will Seehofer einen umstrittenen Satz aus der Asylverordnung streichen. Dort heißt es, dass die Unterbringung von Asylbewerbern „die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern“ soll.
Sozialministerin Christine Haderthauer wollte das schon vor vier Jahren ändern, war aber am Widerstand ihrer Partei gescheitert. Dutzende Anträge der Opposition hatten CSU und FDP abgelehnt.
„Die CSU will offensichtlich mit sich selbst nichts mehr zu tun haben“, frotzelt Bayerns SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher. „Offenbar braucht sie immer erst spektakuläre Ereignisse, die die Menschen aufschrecken, um umzudenken.“ Seehofer-Herausforderer Christian Ude: „Das Tempo der Kehrtwenden wird immer atemberaubender. Ich wundere mich, dass ihm nicht schwindelig wird."