SPD streitet über Hartz-IV: Scharfe Kritik an Scholz
Der Burgfrieden bei der SPD hat nicht lange gehalten. Vizekanzler Scholz will erstmal gut regieren - und nicht über Alternativen zu Hartz IV diskutieren. Das erinnert einige an frühere "Basta"-Zeiten.
Berlin - In der SPD verschärft sich zwei Wochen nach dem Start der Großen Koalition der Richtungsstreit um die Grundsicherung Hartz IV. Nachdem der kommissarische SPD-Chef Olaf Scholz betont hatte, am Hartz-IV-Grundprinzip derzeit nicht rütteln zu wollen, geriet er parteiintern unter Druck.
Mehrere prominente SPD-Politiker warnten ihn vor Denkverboten. Rückendeckung erhielt Vizekanzler Scholz von den Arbeitgebern, der FDP und dem Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele.
Bundesfinanzminister Scholz hatte der Funke Mediengruppe mit Blick auf Berlins Regierungschef Michael Müller und SPD-Vize Ralf Stegner gesagt: "Auch Herr Müller und Herr Stegner stellen das Prinzip des Förderns und Forderns nicht infrage." Müller hatte als Hartz-Alternative ein "solidarisches Grundeinkommen" von 1.200 Euro im Monat für Bürger vorgeschlagen, die zu gemeinnütziger, sozialversicherungspflichtiger Arbeit bereit sind.
Natascha Kohnen: "Den Sozialstaat auf den Prüfstand stellen"
Stegner pochte am Freitag auf die Einführung eines solidarischen Grundeinkommens. "Wir führen die Diskussion in der SPD nach vorne", teilte der SPD-Linke im Kurznachrichtendienst Twitter mit: "Sozialer Arbeitsmarkt und Chancenkonto. Existenzminimum, Kindergrundsicherung und solidarisches Grundeinkommen, steigende Mindestlöhne und Verbesserungen bei prekärer Beschäftigung und Niedriglohnsektor."
Berlins SPD-Fraktionschef Raed Saleh warf Scholz ein Abwürgen der Debatte vor. "Das Hartz IV-System bleibt für die SPD nach wie vor ein wunder Punkt", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. In der Partei gebe es eine Sehnsucht, über die Änderung oder Abschaffung des Systems zu diskutieren. Es dürfe dabei keine Denkverbote geben.
SPD-Vize Natascha Kohnen forderte, auf einem eigenen themenbezogenen Parteitag grundlegend über die künftige Ausgestaltung des Sozialstaats zu diskutieren. "Wir müssen den Sozialstaat auf den Prüfstand stellen", sagte sie der dpa.
Die Kandidatin für den SPD-Vorsitz, Simone Lange, zeigte sich empört über Scholz. "Ich erwarte von einem Parteivorsitzenden, das ist er aktuell ja noch, dass wir über dieses Thema offen diskutieren", sagte die Flensburger Oberbürgermeisterin der dpa. Lange tritt beim SPD-Sonderparteitag am 22. April in Wiesbaden gegen die Favoritin an, Bundestagsfraktionschefin Andrea Nahles.
Simone Lange, Oberbürgermeisterin in Flensburg, kandidiert für den SPD-Vorsitz. Foto: dpa
Knapp 6 Millionen Deutsche leben von Hartz IV
Im Zuge der Arbeitsmarktreformen des damaligen SPD-Kanzlers Gerhard Schröder waren Arbeitslosen- und Sozialhilfe 2005 zur Grundsicherung (Hartz IV) zusammengelegt worden. Dadurch sind Menschen, die lange gearbeitet und in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, bei längerer Arbeitslosigkeit einem erhöhten Armutsrisiko und Existenzängsten ausgesetzt - die SPD-Linke hadert bis heute mit den Reformen und sieht sie als Mitgrund für schlechte Wahlergebnisse.
Im Februar bekamen 5,95 Millionen Menschen Hartz IV. Davon waren 4,26 Millionen erwerbsfähig. Rund zwei Drittel erhielten Hartz IV, ohne arbeitslos zu sein, etwa weil sie einem Minijob oder einer Maßnahme zur Rückkehr auf den Arbeitsmarkt nachgingen, Schule oder Hochschule besuchten oder wegen Krankheit länger arbeitsunfähig waren. Im Schnitt machen die Leistungen der Grundsicherung 954 Euro für eine Bedarfsgemeinschaft aus, zum Beispiel Eltern mit Kindern. Für Alleinstehende gilt derzeit ein Regelsatz von 416 Euro im Monat. Die Grundsicherung ist ein steuerfinanziertes Unterstützungssystem, das neben Hilfen für den Lebensunterhalt Arbeitsfördermaßnahmen vorsieht.