SPD-Neustart: Gabriel, Nahles und „Mut zu Korrekturen“

Eine Woche nach ihrem Wahldebakel stellt die Partei-Spitze die Weichen für einen personellen Neuanfang und nominiert den bisherigen Umweltminister als Nachfolger Münteferings
BERLIN Aus Siggi Pop wird in der Not Siggi Chef: Eine Woche nach dem historischen Wahldebakel haben Präsidium und Vorstand der SPD in Berlin den bisherigen Bundesumweltminister und früheren Pop-Beauftragten Sigmar Gabriel (50) als neuen Parteivorsitzenden nominiert. Offiziell als Nachfolger Franz Münteferings gewählt werden soll der Niedersachse auf einem Parteitag Mitte November in Dresden. Gabriels Generalsekretärin soll nach dem Willen der Spitzengremien die bisherige SPD-Vize Andrea Nahles werden, die Vorzeige-Genossin des linken Parteiflügels.
Die künftige Führungsriege komplettieren sollen vier Vize-Vorsitzende, von denen freilich keiner aus Bayern oder Baden-Württemberg kommt. Als Stellvertreter Gabriels vorgesehen sind vielmehr der bisherige Arbeitsminister Olaf Scholz aus Hamburg, Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, NRW-Landeschefin Hannelore Kraft sowie die Gesundheitsministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig.
Der gescheiterte Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier zieht sich als Parteivize zurück und beschränkt sich auf seine Arbeit als Fraktionschef. Auch Finanzminister Peer Steinbrück scheidet als Vizechef aus, er zieht sich auf künftig auf die Bundestags-Hinterbank zurück.
Ungeachtet der inszenierten Einigkeit im Präsidium brodelt es unter den Genossen heftig: So kritisierte der SPD-Linke Hermann Scheer vor Beginn der Gremiensitzungen scharf die „Selbstnominierung“ der neuen Parteiführung durch interne SPD-Zirkel. Andere prominente Sozis fordern lautstark einen Linksruck der Partei – konkret werben sie für eine Abkehr von Schröders Agenda 2010. Die SPD müsse den „Mut zu Korrekturen“ haben, sagte Schleswig-Holsteins SPD-Landeschef Ralf Stegner. Menschen, die vor Altersarmut stünden, müsse die SPD ihre Angst nehmen. Ansonsten werde die SPD gegenüber anderen Parteien weiter an Zustimmung verlieren.
Nach Ansicht der designierten Partei-Vize Kraft sollten Bündnisse von SPD und Linkspartei auch im Bund künftig grundsätzlich möglich sein. Eine „Ausschließeritis“ wie bisher bringe die SPD nicht weiter, sagte sie. In Nordrhein-Westfalen, wo im Mai nächsten Jahres der Landtag neu gewählt wird, seien die Linken aber derzeit aber „nicht regierungs- und koalitionsfähig“.
Die Grünen ließen ihren früheren Koalitionspartner unterdessen wissen, sie ordneten sich nicht in ein gemeinsames Lager mit SPD und Linkspartei ein: „Wir sind nicht Teil einer Rot-Rot-Grün-Strategie, einer Schwarz-Gelb-Strategie, einer Jamaika-Strategie oder einer Ampel-Strategie“, sagte Parteichef Cem Özdemir. Einem Wettbewerb darüber, wer die Linkesten seien, würden sich die Grünen verweigern. Mit Blick auf die Richtungsdebatten in der SPD sagte Özdemir: „Wir richten unsere Oppositionsstrategie nicht nach dem aus, was die SPD macht.“ jox