SPD-Debatte über Kurswechsel geht weiter
Berlin (dpa) - Nach der dramatischen Neuformierung der Parteispitze vor einer Woche hat die SPD ihre Auseinandersetzungen über den richtigen Kurs am Wochenende fortgesetzt. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und der SPD-Linke Ottmar Schreiner warnten vor einem Richtungswechsel.
Vor allem Schreiner mahnte die neue Parteiführung, zu der als Kanzlerkandidat für 2009 auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier gehört, den linken Flügel nicht zu übergehen.
Der designierte Parteichef Franz Müntefering ist nach Ansicht seines Nachfolgers im Amt des Bundesarbeitsministers, Olaf Scholz, keine Übergangslösung an der SPD-Spitze. Der bisherige Vorsitzende Kurt Beck, der das Amt vor einer Woche enttäuscht und verärgert niedergelegt hatte, kritisierte unterdessen einen «Wolfsrudel»- Politikstil auf Bundesebene.
Wowereit sagte der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung», Müntefering müsse sich in den Fragen des Arbeitslosengeldes I und der Rente mit 67 an den Parteikurs halten. Müntefering und Steinmeier dürften keinen zu autoritären Führungsstil pflegen. Es müsse «auch in der Diskussion geworben werden. Man muss Rat zumindest zulassen», mahnte Wowereit. Schreiner sagte der «Wirtschaftswoche», wenn die Linken in der SPD an Einfluss verlören, «dann würden die Umfragewerte der SPD wahrscheinlich noch schlechter werden, als sie es ohnehin jetzt schon sind». Beschlusslage in der SPD seien die Ergebnisse des Hamburger Parteitages.
Der saarländische SPD-Vorsitzende Heiko Maas warnte davor, die Kurskorrekturen der SPD nach dem Ende der Kanzler-Zeit Gerhard Schröders zurückzunehmen. «Viele werden genau darauf achten, dass die inhaltliche Basis, die Kurt Beck geschaffen hat, nicht verschoben wird.» Die Beschlüsse des Hamburger Parteitages, mit denen die SPD «nach Jahren unbequemer Reformpolitik wieder ein klareres soziales Profil gezeigt» habe, dürften nicht infrage gestellt werden. «Wer das versucht, riskiert die Geschlossenheit der Partei», sagte Maas.
Steinmeier, unter Kanzler Gerhard Schröder als Kanzleramtschef einer der Architekten der «Agenda 2010», wies Kritik an der Reformpolitik der vergangenen Jahre zurück. «Wir haben auf einen tiefen Fall reagiert, der die deutsche Volkswirtschaft zu zerreißen drohte und der Politik alle Gestaltungsräume nahm. Die Alternative war, einfach abzuwarten - das wäre zynisch gewesen. Der Streit, den wir in der Partei hatten, war notwendig. Und wir haben ihn stellvertretend für die Gesellschaft geführt», sagte er der «Süddeutschen Zeitung».
Arbeitsminister Scholz sagte der Zeitschrift «Super Illu», die Nominierung von Müntefering und Steinmeier sei kein innerparteilicher Sieg der «Agenda 2010»-Anhänger über den linken Flügel der SPD. «Über die Erfolge unserer Politik herrscht in der Partei weitgehende Einigkeit, und zwar über die ganze Breite des Spektrums hinweg.» Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) sprach sich gegen weitere Änderungen am Reformkurs aus. «Der SPD-Kurs der Agenda 2010 war richtig und mutig», sagte er der «Sächsischen Zeitung». Diese Politik habe allein im Osten seit 2005 rund 500 000 Menschen aus der Arbeitslosigkeit geholt.
Altbundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) appellierte an die neue Parteiführung, die Reform des Sozialstaats nach Schröders Vorbild weiter voranzutreiben. Die Agenda 2010 habe den notwendigen Umbau der Wirtschaft «wirklich in Angriff genommen», sagte Schmidt der «Bild am Sonntag». Er lobte, dass Müntefering diesen Kurs «tapfer nach außen vertreten» habe.
In Hessen sieht sich die SPD-Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti unterdessen durch den Verlauf der Regionalkonferenzen zur Bildung einer Minderheitsregierung in ihrem Linkskurs bestätigt. Bei der dritten von vier Regionalkonferenzen am Samstag in Alsfeld hätten die Parteimitglieder Ypsilanti die Botschaft «Macht es» mitgegeben, sagte SPD-Sprecher Frank Steibli nach dem nicht-öffentlichen Treffen. Nach einem an internem Widerstand gescheiterten Versuch im März will Ypsilanti im Herbst erneut versuchen, sich mit den Stimmen der Linkspartei zur Ministerpräsidentin einer rot-grünen Minderheitsregierung wählen zu lassen.