Spaenle präsentiert Strategie gegen Antisemitismus

"Tief schockiert": Wie der Beauftragte der bayerischen Staatsregierung Land, Kommunen und Verbände zu einer breiteren Diskussion über den zunehmenden Antisemitismus verpflichten will.
Natalie Kettinger |
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München - In der Münchner U-Bahn wird ein junger Mann angepöbelt, dessen Smartphone mit einem Davidstern verziert ist. Niemand verteidigt ihn. In einer bayerischen Kleinstadt wird eine jüdische Seniorin beschimpft. Niemand hilft. Die Frau bleibt "tief schockiert" zurück. Das seien nur zwei von etlichen Fällen, die ihm in den letzten Tagen zugetragen wurden, sagt Ludwig Spaenle (CSU), seit Mai 2018 Beauftragter der bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus.

401 antisemitische Straftaten im ersten Halbjahr 2018

Um der zunehmenden Judenfeindlichkeit entgegenzuwirken, will Spaenle Politik, Kommunen und Verbände im Freistaat dazu auffordern, sich die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) zu eigenen zu machen und zukünftiges Handeln daran auszurichten.

"Jüdinnen und Juden fühlen sich heute in anderer Weise angegangen als früher", stellt er beunruhigt fest. Das beginne bei dummen Bemerkungen und ende bei Straftaten. Erst im Sommer habe das Bundesinnenministerium erschreckende Zahlen bekanntgegeben, die diese Wahrnehmung stützen: "401 antisemitische Straftaten haben die Polizeibehörden im ersten Halbjahr 2018 in Deutschland registriert, gut zehn Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres", so Spaenle. 43 Mal kam es in Bayern zu Übergriffen, 80 Mal in Berlin.

Studie der TU bestätigt besorgniserregenden Trend 

Eine Studie der TU Berlin bestätige den besorgniserregenden Trend. Dort habe eine Sprachwissenschaftlerin Leserkommentare zu Israel ausgewertet. "2007 wiesen 7,5 Prozent der Kommentare antisemitische Stereotype auf", sagt Spaenle. "Sieben Jahre später war der Anteil auf 36,2 Prozent gewachsen – also fünfmal so hoch."

Mit dem geforderten Bekenntnis zur IHRA-Definition will Spaenle gegensteuern. Diese besagt: "Der Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein."

Problem muss sensibler wahrgenommen werden

31 Mitgliedsstaaten der IHRA hatten sich 2016 auf diese Festlegung verständigt. 2017 erklärte sich auch der Bundestag damit einverstanden. Spaenle will nun, dass sich die bayerische Staatsregierung und der Landtag ebenfalls dazu bekennen – genau wie die bayerischen Kommunen, Gewerkschaften und Verbände. Dieser Schritt auf eine niedrigere politische Ebene wäre neu, denn bislang haben sich laut Spaenle nur die City of London und Schottland der Definition angeschlossen.

Die Debatte über den Antisemitismus dürfe sich aber nicht allein auf die Parlamente beschränken, meint der CSU-Politiker. "Nach einem umfassenden Dialog werden wir das Problem sensibler wahrnehmen, Phänomene des Antisemitismus frühzeitiger erkennen und bereitwilliger und klarer als bisher die Stimme zugunsten von Jüdinnen und Juden und gegen den Antisemitismus erheben." In den nächsten Tagen sollen etliche Briefe mit der Aufforderung sein Haus verlassen, kündigt Spaenle an. "Das wird ein ziemlicher schriftlicher Aufwand."

Spaenle will Meldestelle für antisemitische Übergriffe einrichten

Ein Aufwand, von dem sich der Beauftragte "greifbare Folgen" erhofft – im Idealfall, dass die Institutionen die Definition als Handlungsleitlinie verstehen. Als positives Beispiel in diesem Sinne nennt er den Beschluss des Münchner Stadtrats, an Unterstützer der gegen Israel gerichteten "Boycott, Divestment, Sanctions"-Kampagne (BDS) keine kommunalen Räume mehr zu vermieten.

Anfang 2019 will Spaenle außerdem eine Meldestelle für antisemitische Übergriffe einrichten. Als Träger soll ein Verein fungieren, der noch gegründet werden muss – aller Voraussicht nach mit ihm selbst als Vorsitzendem. Außerdem will er sich verstärkt für den Schüleraustausch zwischen Bayern und Israel einsetzen.

Lesen Sie auch: "Auschwitz-Komitee: Antisemitismus-Studie sendet Alarmsignal"

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