Sozialministerin Müller: "Wir kriminalisieren niemanden"

Sozialministerin Emilia Müller über Sammelunterkünfte für Balkan-Flüchtlinge und die Wortwahl der CSU. Die Ministerin im AZ-Interview.
von  Natalie Kettinger
Die CSU mache keine Abschreckungspolitik, sagt Bayerns Sozialministerin Emilia Müller.
Die CSU mache keine Abschreckungspolitik, sagt Bayerns Sozialministerin Emilia Müller. © dpa

AZ: Frau Müller, für den Vorschlag, Asylbewerber vom Balkan demnächst in grenznahen Sammellagern unterzubringen, hat der Gründer von Pegida, Lutz Bachmann, die CSU am Montag auf dem Marienplatz in den höchsten Tönen gelobt. Läuft es Ihnen da nicht eiskalt den Rücken herunter?

EMILIA MÜLLER: Das ist nicht unser Thema. Mein Thema ist, dass jeden Tag Menschen aus Kriegs- und Krisenregionen zu uns kommen. Unsere Aufgabe ist es, diese Menschen human unterzubringen, mit ihnen vernünftig umzugehen und ihnen ein rechtsstaatliches Verfahren zu ermöglichen. Deshalb haben wir bei der Kabinettsklausur in St. Quirin den Beschluss gefasst, dass wir in Zukunft Aufnahmeeinrichtungen schaffen, in denen wir Menschen mit geringer Bleibeperspektive unterbringen. Dort können deren Verfahren so schnell wie möglich bearbeitet werden. Man muss den Menschen ehrlich sagen, wie’s aussieht. Und von den Leuten vom Balkan werden nur 0,1 Prozent ein Bleiberecht bekommen. Auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung sagt: Das ist die richtige Methode.

Darüber, dass man sich auf die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen aus Bürgerkriegsländern konzentrieren muss, herrscht ja weitgehend Einigkeit.

Genau. Diese Menschen wollen wir adäquat unterbringen und deshalb brauchen wir weitere Plätze.

Wie sollen diese Lager für Menschen vom Westbalkan denn aussehen?

Wir haben keine Lager. Das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen. Wir haben bereits geordnete Erstaufnahmeeinrichtungen und schaffen zwei zusätzliche Einrichtungen. Über die neuen Einrichtungen werden wir genau beraten und dann – natürlich – vernünftig vorgehen. Es sind humane Unterkünfte für alle und wir wollen die abgelehnten Asylbewerber verantwortungsbewusst so schnell wie möglich wieder in die Heimat zurückführen. Wir beraten sie von Anbeginn, wenn sie zu uns kommen, über freiwillige Rückkehr oder sie bekommen eine rechtsstaatliche Entscheidung und werden dann zurückgeführt. Wenn wir die gleichen Nationalitäten an einem Ort unterbringen, kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Verfahren schneller durchführen.

In München gibt es auch Dolmetscher, eine Außenstelle des Bundesamtes und ein Verwaltungsgericht. Zudem sind die Asylbewerber für drei Monate in der Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht und damit vor Ort.

Ja, aber sie können nur drei Monate in der Erstaufnahme bleiben. Und wenn das Verfahren des Bundesamtes zu lange dauert, müssen die Asylbewerber in Bayern verteilt werden. Wir haben derzeit sehr, sehr viele Menschen aus dem Westbalkan verteilt. Das erschwert sämtliche Verfahren.

Für die Sammelunterkünften brauchen Sie zusätzliches Personal. Das BAMF ist jetzt schon unterbesetzt und die Caritas sucht händeringend Mitarbeiter für die Asylsozialbetreuung – wie soll das gehen?

Das Bundesamt muss personell aufstocken. Dass wir in Bayern bei der Unterbringung unterscheiden zwischen Asylbewerbern mit und ohne Bleibeperspektive, ist auch der Wunsch von Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Auch die Ministerpräsidenten aller Bundesländer haben sich bei ihrer Konferenz im Juni darauf verständigt – über Parteigrenzen hinweg. Der exorbitante Zugang der Asylbewerber ist eine riesige Herausforderung für alle.

Kritiker werfen der CSU vor, bei der Wortwahl in diesem Bereich nicht gerade zimperlich zu sein. Beispiel: „massenhafter Asylmissbrauch“.

Jedes Jahr im Winter kommen gezielt Asylbewerber aus dem Westbalkan und verbringen die Wintermonate bei uns. Da frage ich Sie, was das dann ist.

Hat nicht jeder Nicht-EU-Bürger das Recht, einen Antrag auf Asyl zu stellen?

Natürlich. Aber es kommt doch darauf an, ob er berechtigt ist, oder sich nur einen Vorteil verschaffen will.

Darüber wird im Asylverfahren entschieden und wer nicht berechtigt ist, wird abgeschoben. Das Wort „Missbrauch“ kriminalisiert die Menschen von vornherein.

Wir kriminalisieren niemanden. Und bei der Situation, die wir derzeit zu schultern haben, muss man auch nicht über einzelne Worte diskutieren. Wir müssen die Aufgaben bewältigen – auch finanziell.

Schon jetzt ist es oft schwierig, die Anwohner von der Notwendigkeit großer Unterkünfte in der Nachbarschaft zu überzeugen. Wie wollen Sie Akzeptanz für die geplanten Sammelunterkünfte erreichen, deren Bewohnerzahl ja vermutlich im vierstelligen Bereich liegt?

Ich sehe großes Einverständnis in der Bevölkerung für unsere Vorgehensweise. Außerdem beraten wir das alles mit den Verantwortlichen vor Ort und prüfen alle Möglichkeiten.

Man könnte die Diskussion um grenznahe Unterkünfte auch als weiteren Baustein der bayerischen Abschreckungspolitik begreifen.

Wir machen doch keine Abschreckungspolitik. Die Leute kommen zu uns, heute allein 1385. Die Menschen kommen, weil die Situation bei uns gut ist und weil wir als südlichstes Bundesland an zwei Hauptfluchtrouten liegen.

Wäre es deshalb nicht sinnvoller, die Fluchtgründe in den Balkan-Staaten selbst zu bekämpfen?

Wir setzen auf Aufklärung vor Ort: Die Botschaften, das BAMF und auch der Freistaat informieren die Menschen auf dem Westbalkan, dass es aussichtslos ist, bei uns Asyl zu beantragen.

Trotzdem sind die Verhältnisse etwa in Albanien so schlecht, dass die Leute es weiter versuchen. Daher noch einmal die Frage: Gibt es nicht die Möglichkeit an den Verhältnissen dort etwas zu ändern und gleichzeitig einen realistischen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu schaffen?

Die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation vor Ort ist doch die Aufgabe der dortigen Regierungen – und der EU. In Sachen Asyl gilt: Auf dem Balkan wird niemand rassistisch, politisch oder wegen seiner Religion verfolgt.

Was ist mit den Roma?

Es gibt eine Roma-Strategie der EU und es ist Aufgabe dieser Länder, die jetzt Mitglieder der EU werden wollen, diese vor Ort umzusetzen. Dafür gibt es Geld von Seiten der EU und das muss richtig eingesetzt werden.

Zurück nach Deutschland: Ohne freiwillige Helfer wäre die Situation in vielen Unterkünften schon jetzt ein Desaster. Trotzdem fühlen sich viele Helferkreise von der Politik im Stich gelassen. Wäre es nicht angezeigt, mehr Energie in die Integration der Flüchtlinge zu stecken und ein friedliches Zusammenleben zu beschwören - anstatt abzuschrecken, zu separieren und abzuschieben?

Es geht darum, den Flüchtlingen und Asylbewerbern Hilfestellung zu leisten. Und die Solidarität der Bevölkerung und das Engagement der Ehrenamtlichen, das wir derzeit erfahren, sind großartig. Die Verantwortlichen vor Ort arbeiten mit den Ehrenamtlichen eng zusammen. Es gibt in Bayern 50 Koordinierungsstellen für Ehrenamtliche in den Landratsämtern. Und es gibt die Asylsozialberater, die wir finanzieren. Sie arbeiten überall intensiv mit den Ehrenamtlichen zusammen. Wir brauchen dieses ehrenamtliche Engagement und schätzen es absolut. Deshalb haben wir für den 28. Juli auch einen Staatsempfang für Ehrenamtliche organisiert.

Viele Koordinatoren in den Landratsämtern sind heillos überfordert. Ich kenne Fälle, da gehen die Betroffenen gar nicht mehr ans Telefon oder legen einfach auf. Und von den ehrenamtlichen Helfern haben die ersten bereits hingeschmissen.

Mein Bild ist ein gänzlich anderes. Und außerdem nimmt der Freistaat hier gerade zusätzliches Geld in die Hand, um Koordinatoren allein für den Bereich Asyl in den Landkreisen zu etablieren. Die Ehrenamtlichen brauchen Unterstützung – und die erhalten sie.

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