Interview

Sorge um Aushängeschild: Welches Land Deutschland jetzt den Rang abläuft

Ferdinand Dudenhöffer warnt vor Strategielosigkeit in Deutschlands Auto-Branche. Vor allem China läuft dem einstigen Primus den Rang ab. Was er für 2024 erwartet, verrät er im AZ-Interview.
von  Ralf Müller
Selbstfahrende Taxis gibt es in China schon.
Selbstfahrende Taxis gibt es in China schon. © imago

Ferdinand Dudenhöffer sorgt sich um Deutschlands Aushängeschild – die Autobranche. Der 72-Jährige ist Wirtschaftswissenschaftler und gilt seit vielen Jahren als "Autopapst". Im AZ-Interview verrät Dudenhöffer, warum China der Bundesrepublik mehr und mehr den Rang abläuft.

AZ: Herr Dudenhöffer, viele sagen der Automobilindustrie, der deutschen Leitbranche, turbulente Zeiten vorher. Wird 2024 das Schicksalsjahr für das Autoland Deutschland?
FERDINAND DUDENHÖFFER: Nicht ein einziges Jahr entscheidet über die Zukunft, aber 2024 ist ein wichtiges Jahr. Die Autoindustrie arbeitet mit langfristigen Strategien. 2024 wird sich der europäische Markt als schwierig darstellen, und Deutschland droht weiteres Chaos: Die Umweltprämie ist gekappt, wir sind Weltmeister beim Strompreis, mit dem Ukraine-Krieg steigen die Militärausgaben, und dazu kommt das große Migrationsproblem. Die Regierung agiert planlos mit hektischem Aktionismus. Deutschland stolpert strategielos in die Zukunft. Das belastet ganz erheblich den Automarkt. Die Käufer hierzulande sind zurückhaltend. Für einen Ausgleich könnte China sorgen. Auch in den USA will man die Wirtschaft fördern.

Bedeutet das den beschleunigten Abzug von Produktion, Forschung und Entwicklung aus Deutschland ins Ausland, insbesondere nach China?
Das ist ja schon zu sehen. Zum Beispiel ist für BMW China der zweitgrößte Entwicklungsstandort. In Deutschland herrscht Verkehrschaos. Die Bahn funktioniert nicht. Immer mehr Autobahnen sind wegen maroder Brücken für den Güterverkehr nur mit Riesen-Staus nutzbar. Es wird Jahre dauern, bis wir zu einem Normalzustand zurückkommen. Die Infrastruktur ist das Herz der Industrialisierung. Gleichzeitig die vielen blumigen Ankündigungen zu grünem Wasserstoff, grünem Stahl, Batteriefabriken und Chipfabriken. Viele Luftballons, die nicht funktionieren können, weil das Fundament fehlt. Wenn die Infrastruktur und die Energiepreise nicht stimmen, dann geht die Industrialisierung auch schief.

Ferdinand Dudenhöffer.
Ferdinand Dudenhöffer. © © EYE AM CHRIS

Ferdinand Dudenhöffer: "Das Auto von morgen ist nicht mehr das, was wir heute kennen"

Sie haben immer wieder kritisiert, dass sich die deutschen Autohersteller zu lange ausgeruht haben und jetzt von der Entwicklung in China überrollt werden. Nun hat der chinesische Hersteller Xpeng ein Luxus-Elektroauto mit der Fähigkeit zum autonomen Fahren zum Preis eines VW Golf vorgestellt. Ist das der Anfang vom Ende der deutschen Technologieführerschaft?
Das ist eine sehr große Herausforderung. Die chinesischen Autobauer und -zulieferer sind sehr weit. Die Lithium-Ionen-Batterie hat ihr Herz in China. Weiterentwicklungen in diesem Bereich kommen aus China. Alles, was mit Software im Auto zu tun hat, hat ebenfalls in China eine neue Heimat. Das Auto von morgen ist nicht mehr das, was wir heute kennen. Auch der Luxus wird anders verstanden als heute. Das mit Hirschleder bezogene Lenkrad ist nicht mehr das Luxussymbol von morgen.

Und wie sieht das Auto von morgen aus?
Das Auto von morgen ist das intelligente Auto. In Peking kann man vom Hauptflughafen in die Stadt mit einem Robotaxi ohne Fahrer kommen. Das kann man sich in Deutschland gar nicht vorstellen. In 65 Großstädten Chinas will Baidu, das chinesische Google, bis 2025 Robo-Taxen fahren lassen. In Großstädten wie Shanghai, Shenzhen, fahren die Dinger schon und haben bisher mehr als vier Millionen Kilometer mit Fahrgästen zurückgelegt.

"Nach 2030 werden in China so viele Neuwagen verkauft werden wie in USA und Europa zusammen"

Noch scheint es der deutschen Autoindustrie nicht so schlecht zu gehen. Sie hat wohl 2023 das größte Umsatzplus aller Industriebereiche erwirtschaftet.
Das Risiko liegt in der Zukunft und die ist China. Nach dem Jahr 2030 werden in China so viele Neuwagen verkauft werden wie in USA und Europa zusammen. China geht gleichzeitig mit hoher Dynamik ins Elektroauto. Schon 2025 werden mehr als sieben Millionen Elektroautos dort verkauft werden. Und Deutschland? Mit dem Stopp der Umweltprämie schnüren wir den deutschen Autobauer die Luft zum Atmen, sprich zum Hochlauf der Elektromobilität im Heimatmarkt ab. Die Chinesen und Tesla haben dann die Vorteile aufgrund bester Kosten durch hohe Produktionszahlen.

Wie sehen Sie die Zukunft Teslas mit seinem erratischen Chef?
Elon Musk kann man nicht prognostizieren, der ist "verrückt". In seiner Verrücktheit hat er wegweisende Dinge entwickelt. Die Autoindustrie revolutioniert derzeit ihre Produktionssysteme. Diese größte Revolution seit Henry Ford hat Elon Musk eingeleitet. Wir reden jetzt über neue Produktionssysteme von morgen. Diese Autofabriken werden so aussehen wie die große Tesla Fabrik in Austin Texas in USA. Eine solche Fabrik wird mehr als eine Million Fahrzeuge pro Jahr herstellen, nicht mehr wie bisher 300.000 oder 400.000.

Wie ändert sich das Produktionssystem?
Henry Ford hat das Fließbandsystem eingeführt. Damit sind die Kosten in der Autoproduktion deutlich reduziert worden. Tesla hat das neue Aluminium-Druckgussverfahren eingeführt: Riesige Maschinen bauen in einem Arbeitsgang Front End und Rear End der Karosserie. Damit entfallen 40 bis 50 einzelne Stationen, in denen Teile zusammengeschweißt werden. Die Kostenvorteile sieht man bei Tesla. Im dritten Quartal 2023 hat Tesla eine Umsatzrendite von acht Prozent erzielt, obwohl seine Fabriken lausige Auslastungen haben. VW hat noch nie acht Prozent erzielt. Was Tesla macht, entwickelt sich jetzt überall. Es wird die Autoindustrie völlig verändern. Dazu braucht man allerdings eine völlig andere Infrastruktur und große Fabriken. Damit sind wir wieder bei unserem Deutschlandproblem der maroden Infrastruktur.

"Autopapst" Ferdinand Dudenhöffer: "BMW ist ein Vorbildunternehmen"

Läuft das nicht alles auf einen Beschäftigungsabbau hinaus?
Bei der Herstellung von E-Autos braucht man weniger Arbeitskräfte. Das gilt weltweit. Aber man hätte in Deutschland auch Batterien produzieren können. Was ist aus den großen blumigen Plänen geworden? CATL würde nach meiner Einschätzung heute nicht mehr nach Deutschland gehen, sondern dorthin, wo Logistik, Infrastruktur und Energiekosten stimmen. Lithium-Ionen-Batterien, Halbleiter und Software sind die Arbeitsplätze von morgen. Das intelligente Auto bietet die Arbeitsplätze von morgen und nicht das Stahlblech, das gebogen wird.

Immerhin baut BMW eine Batteriefabrik in Niederbayern.
BMW ist ein Vorbildunternehmen, weil sich BMW auf den Kern des Autobaus beschränkt und viele Dinge klug zukauft. Aber man macht es so, dass man die Technologie der Zulieferer versteht. Deshalb hat man vor einigen Jahren schon ein eigenes Batterielabor eingerichtet. Genau deshalb baut man jetzt eine Kleinserienproduktion von Zellen auf, um die Produktionsprozesse zu verstehen und dann zu sehen, mit welchem Batterieproduzenten man am besten zusammenarbeiten kann. In gewisser Weise ist BMW einzigartig, denn alle anderen versuchen, die Dinge selbst zu machen. Wir werden sehen, ob das BMW-System klappt. Bisher ist das, was die Münchner machen, gut.

Der Absatz von E-Autos stockt in Deutschland. Hat das nur mit der beendeten Förderung zu tun oder der "schlechten Presse" des E-Autos?
Der Hauptgrund ist die gekappte Förderung. Ladesäulen fehlen schon, aber das ist nicht das Hauptargument. Der Absatz der E-Autos ist durch die 9000-Euro-Prämie wie eine Rakete nach oben geschossen. Jetzt wurde die Förderung erst reduziert, dann abgeschafft. Das Unglaubliche daran, dass ausgerechnet der grüne Wirtschaftsminister Habeck das Elektroauto in Deutschland zerstört und auch der deutschen Industrie einen großen Schaden zugefügt, weil der Heimatmarkt der wichtigste Markt ist. Jetzt wird die deutsche Autoindustrie gehindert, im Heimatmarkt Stückzahlen aufzubauen. Wir gehen davon aus, dass 2024 etwa 200.000 E-Autos weniger verkauft werden, weil das E-Auto 10.000 Euro mehr kostet als ein vergleichbarer Verbrenner. Welcher Kunde kauft ein E-Auto, um Habeck zu gefallen? Pustekuchen!

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