"Soli" soll für Flüchtlinge verwendet werden

Der CSU-Chef schlägt vor, den Zuschlag  für die Aufnahme und Integration der vielen Hilfesuchenden zu verwenden
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Horst Seehofer denkt angesichts der hohen Kosten in der Flüchtlingspolitik über eine Soli-Verlängerung nach.
dpa Horst Seehofer denkt angesichts der hohen Kosten in der Flüchtlingspolitik über eine Soli-Verlängerung nach.

Die Botschaft ist alles andere als populär – und deshalb sickert die Wahrheit nur in kleinen, leichter verdaulichen Dosen durch.

München - Im November hat Finanzminister Wolfgang Schäuble im Bundestag noch angekündigt, er wolle trotz der vielen Flüchtlinge auch 2016 keine neuen Schulden machen, dieses Versprechen aber bereits mit dem verräterischen Zusatz „wenn möglich“ versehen. Nun denkt CSU-Chef Horst Seehofer laut darüber nach, den Solidaritätszuschlag nicht langsam auslaufen zu lassen, sondern das Geld für die Aufnahme und die Integration der Flüchtlinge zu verwenden. „Wir haben seit der Grenzöffnung im September eine neue Situation“, sagte der bayerische Ministerpräsident.

 

Bodo Ramelow hat bereits einen ähnlichen Vorschlag gemacht

 

Seehofer betont, dass dies keine Absage an die Forderung nach einem Ende des „Soli“ sei. „Aber wir müssen einfach einen Kassensturz machen mit dem Ziel, herauszufinden, was können wir uns noch leisten? Wenn wir die Zuwanderung nicht begrenzen, werden wir keinen Spielraum haben.“

Seehofers Forderung ist nicht ganz. Erst im September hat Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow etwas Ähnliches ins Spiel gebracht. Der Linken-Politker schlug vor, einen Teil des Solidaritätszuschlags für die Finanzierung der Flüchtlingskrise zu verwenden. Ramelow nannte das Ganze „Integrations-Soli“.

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Die SPD wertet die Gedankenspiele des CSU-Chefs als durchsichtiges Manöver. „Horst Seehofer macht überdeutlich, dass die Einigkeit der Union nur eine billige Fassade ist. In Wirklichkeit gibt es keine gemeinsame Linie in der Union – weder in der Flüchtlingspolitik noch anderswo“, sagt SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel.

FDP-Chef Christian Lindner nennt es „geradezu schäbig, die Beibehaltung des Solidaritätszuschlags mit Flüchtlingen zu begründen“. Das Bundesfinanzministerium und die CDU wollten den Vorstoß nicht kommentieren.

 

Die Flüchtlingskrise wird teurer als die Koalition zugibt

 

Aber offenbar kommt die Krise die Steuerzahler deutlich teurer zu stehen als es die Koalition bislang zugeben will. Ja, Deutschland ist ein wohlhabendes Land, das auch eine Million Flüchtlinge verkraften kann. Bei zwei oder drei Millionen jedoch sieht die Sache schon etwas anders aus. Dann addieren sich die jährlichen Kosten nach den Berechnungen verschiedener Forschungsinstitute auf Beträge zwischen 21 und 55 Milliarden Euro – auf Summen also, die auch die potenteste Volkswirtschaft nur durch Steuererhöhungen oder das Kürzen von Leistungen finanzieren kann. Die Einnahmen aus dem „Soli“ reichen dazu nicht.

Er bringt dem Fiskus nur 13 Milliarden Euro im Jahr. Dass die Aufnahme so vieler Menschen nicht nur ein kultureller und logistischer Kraftakt ist, sondern auch eine enorme finanzielle Herausforderung, wird in den Debatten über Obergrenzen, Einreisezentren und schnellere Abschiebungen gerne unterschlagen. Die von Bundeskanzlerin Angela Merkel ausgelobte Willkommenskultur suggeriert lediglich, dass Deutschland all das schon irgendwie schaffen werde – zu welchem Preis, bleibt unklar. Vagen Hochrechnungen über den ökonomischen Mehrwert, den die Zuwanderung dem Land auf lange Sicht bringt, stehen ernüchternde Zahlen der Praktiker gegenüber.

Mehr als 1000 Euro pro Kopf und Monat gibt der Staat danach alleine für die Unterkunft, die Versorgung und seinen Verwaltungsaufwand aus. Bis zu 460000 Flüchtlinge werden nach einer Prognose des Sozialministeriums keinen Job finden und deshalb von Hartz IV leben müssen – und das womöglich über Jahre hinweg. Ob das am Ende unseren Wohlstand gefährdet, kann niemand seriös berechnen. Sicher ist nur: Wenn mehr Flüchtlinge auf staatliche Hilfe angewiesen sind als Flüchtlinge in die Steuer-, Renten- oder Pflegekassen einzahlen, geht die Rechnung vom ökonomischen Mehrwert nicht auf.

 

Kürzlich hat Seehofer die Abschaffung des „Soli“ noch gefeiert

 

Dazu kommen zusätzliche Milliarden für die Entwicklungshilfe, um die Ursachen von Flucht und Vertreibung zu bekämpfen, und zusätzliche Milliarden für den Kampf gegen den islamistischen Terror. Die bislang radikalste Studie, verfasst vom Freiburger Ökonomen Bernd Raffelhüschen, beziffert die Gesamtkosten der Flüchtlingskrise auf horrende 900 Milliarden Euro, verteilt jedoch über eine ganze Generation. Vor diesem Hintergrund wirkt der Vorschlag, den Solidaritätszuschlag in eine Art Flüchtlings-Soli umzuwandeln, vergleichsweise harmlos.

Tatsächlich hat Seehofer den bis 2029 geplanten Abbau vor kurzem noch als größte Steuersenkung aller Zeiten gefeiert, die sich im nächsten Bundestagswahlkampf auch bestens hätte vermarkten lassen. Fühlt die Union sich an dieses Versprechen nun nicht mehr gebunden? Oder ist die Not schon so groß, dass die Steuern bald steigen, statt zu sinken?

Die Offenheit, die sie von den Deutschen den Flüchtlingen gegenüber einfordert, lässt die Koalition in einer zentralen Frage vermissen: Wie viel Zuwanderung können wir uns leisten – und wo endet die Opferbereitschaft des Steuerzahlers? Es könnte die Frage sein, an der sich die Wahl 2017 entscheidet.

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