So steht es um Europa

Paris - „Die Krise ist eine einmalige Gelegenheit, Dinge zu verändern”, so der bangladeschischen Wirtschaftswissenschaftlers und Gründers der Mikrofinanz-Idee Mohammad Yunus. Das müssen sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy am Dienstag im Elysée-Palast gedacht haben. Nach einem gut zweistündigen Gespräch einigten sich die beiden Regierungschef dort auf einen gemeinsamen Plan zur Stabilisierung der Euro-Schuldenkrise.
Vorgesehene Veränderungen sind: die Begründung einer Wirtschaftsregierung in der Euro-Zone, eine verbindliche Schuldenbremse in allen 17 EU-Ländern und eine Finanztransaktionssteuer. Den zuletzt ins Gespräch gebrachten Euro-Bonds erteilten Merkel und Sarkozy eine klare Absage. „Vielleicht kann man sich in Zukunft irgendwann am Ende eines Prozesses der europäischen Integration solche Bonds vorstellen”, so Sarkozy. „Aber nicht zu Beginn.”
Veränderungen durch Krisen – das kennt die EU bereits aus dem Jahr 1992. Damals erhofften sich die Staaten durch den Maastricht-Vertrag eine größere wirtschaftliche Stabilität und gleiche Lebensbedingungen in ganz Europa. Die sogenannten Maastricht-Kriterien gaben bestimmte fiskalische und monetäre Werte vor: Der staatliche Schuldenstand dürfte seitdem nicht mehr als 60 Prozent und die jährliche Nettoneuverschuldung nicht mehr als 3 Prozent des Bruttoinlandprodukts betragen.
Die Realität in Europa sieht anders aus
Allein Deutschland beträgt die Bruttoverschuldung 83,2 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung, was einem Wert von 2079 Milliarden Euro entspricht. Um Griechenland und Italien steht es mit Schuldenständen von 142,8 Prozent und 119 Prozent noch schlechter. Auch Irland und Portugal mit jeweils 96,2 und 93,0 Prozent bewegen sich am Abgrund – und weit entfernt vom Maastricht-Kriterum.
Im Bereich der jährlichen Zunahme der Schulden liegt Deutschland in Europa mit 3,3 Prozent recht weit hinten, doch immerhin deutlich über den festgesetzten Maastricht-Kriterien. Während sich Polen (7,9 Prozent), Frankreich (7 Prozent) und Italien (4,5 Prozent) im Mittelfeld befinden, nehmen Portugal und Spanien (beide 9,2 Prozent) deutlich mehr Kredite auf. Griechenland (10,4 Prozent) und Irland (32,4 Prozent) sind hier die traurigen Spitzenreiter im vereinten Europa.
Auch die Einigung über den Zinssatz langfristiger Staatsanleihen, der nach den Maastricht-Kriterien nicht mehr als 2 Prozent über dem Durchschnitt der drei preisstabilsten Mitgliedsstaaten liegen darf, konnte nicht eingehalten werden. Der monatliche Durchschnitt im Juli 2011 übersteigt bei allen EU-Ländern den Referenzwert. Die höchsten Abweichungen erreichen Griechenland (16,15 Prozent) sowie Irland (12,45 Prozent), dicht gefolgt von Portugal (12,15), Deutschland (2,74 Prozent) und Frankreich (3,4) liegen zusammen mit Großbritannien (2,88) vergleichsweise noch in einem akzeptablen Bonitätsbereich – sie müssen weniger Zinsen bieten, wenn sie Kredite aufnehmen.
Das Krisen-Duo Merkel/Sarkozy
Es muss sich also wieder einiges ändern in Europa – das Krisen-Duo Merkel/Sarkozy will eine „echten Wirtschaftsregierung” einsetzen. Diese soll sich aus dem Rat der Staats- und Regierungschefs der 17 Euro-Länder bestehen und zweimal jährlich tagen. Geführt werden soll sie von einem Präsidenten für zweieinhalb Jahre - zuerst von EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy.
Das wird von der Opposition und von Merkels Koalitionspartner kritisiert: Das sei noch keine europäische Wirtschaftsregierung, sagt Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. Auch die SPD hält die Vorschläge für unzureichend. Frank Schäffler (FDP) geht noch weiter: „Der Euro scheitert ja nicht daran, dass wir zu wenig Regeln haben, sondern daran, dass sie nicht umgesetzt werden.”
Doch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso verweist vehement auf die gemeinsame Verantwortung und eine engere Koordinierung der Wirtschaft. Die Schuldenbremse sei hierbei „ein weiteres starkes politisches Bekenntnis zur langfristigen Nachhaltigkeit der öffentliche Haushalte”.
Die Festlegung der Schuldenobergrenze soll zur Haushaltsdisziplin zwingen und helfen, die Staatsverschuldung zurückzudrängen. Damit die Budget-Hoheit der Mitglieder nicht zu sehr verletzt wird, sollen diese bis zum Sommer 2012 selbst entsprechende Paragrafen verabschieden. Dass Deutschland mitmachen wird, ist bereits sicher. Ab 2016 verbietet die Schuldenbremse im Grundgesetz, dass Haushaltsdefizite durch Kredite ausgeglichen werden. Maximal zulässig ist dann die Aufnahme neuer Schulden in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Mehr Kontrolle - und mehr Geld – soll eine EU-weite Finanztransaktionssteuer bringen. Hierzu sollen die Finanzminister noch im Herbst Pläne vorlegen. Die Steuer auf börsliche und außerbörsliche Finanztransaktionen wurde bisher in noch keinem Land eingeführt und stößt an der Börse auf heftige Kritik. Sie schaffe Anreize, noch stärker als bisher in die Nischen auszuweichen, die von dieser Steuer nicht erfasst sind kommentiert die Deutsche Börse, Betreiber des Wertpapierhandels in Frankfurt, die Pläne. Außerdem sei sie nicht geeignet die Sicherheit und Integrität der Finanzmärkte nachhaltig zu steigern.
Krisen mögen eine einmalige Gelegenheit sein Dinge zu verändern – Merkel und Sarkozy haben einen Anfang gemacht. Die Wirtschaftsregierung und die Schuldenbremse durchzusetzen, wird ein langwieriger Prozess. Aber ein notwendiger.