Skandal bei den Gebirgsjägern: Die verrohte Elite
Im besonders spezialisierten Hochgebirgszug fanden die Schikane-Rituale statt. Der Kommandeur zeigt sich bestürzt: Schon seit Ende der 80er sind die Misshandlungen üblich
Zünftig und gemütlich, so mag man es in der Edelweiß-Kaserne in Mittenwald. Die Wände des Offiziersheims zieren in Öl gemalte Alpenidyllen, und auch für das „leibliche Wohl“, wie es heißt, ist gesorgt. Besonders beliebt: Der Karwendel-Topf aus Schweinefilet, Spätzle und Champignon-Soße.
Doch seit Dienstag braut sich ein Skandal über der schmucken Residenz am Fuße der Alpen zusammen, der mehr als nur auf den Magen schlägt. „Fassungslos und enttäuscht“, sei er gewesen, erklärt Fred Siems, Kommandeur des hier stationierten Bataillons 233 der Gebirgsjäger. Mitglieder des Hochzugs, eine 24 Mann starke Elite-Einheit, die ihm unterstellt ist, sollen in unwürdigen Ritualen junge Rekruten gegängelt haben.
Perverse Rituale beim Fux-Test
Beim sogenannten Fux-Test wurden perverse Rituale zelebriert. Neue Mitglieder der Truppe mussten bis zum Erbrechen Alkohol trinken und rohe Schweineleber essen. Nur wer das über sich ergehen ließ, konnte in der internen Hierarchie aufsteigen und als vollwertiger Angehörige des Hochzugs gelten. Oberstleutnant Siems will davon nichts gewusst haben. Von einem „Fux-Test“ und „Hochzug-Kult“ habe er erst am 4. Februar gehört. Damals erreichte ihn die Beschwerde eines ehemaligen Wehrdienstleistenden.
Der Vorfall hat sich an einem Donnerstag und Freitag im Juni 2009 zugetragen. Laut Siems soll der Fux-Test von ehemaligen Gebirgsjägern organisiert worden sein und in einem Waldstück außerhalb der Kaserne stattgefunden haben. Wie viele Aktive und Ehemalige dabei waren, will Siems nicht sagen.
Ein Fall für die Staatsanwaltschaft?
Fest steht, der ehemalige Gebirgsjäger beschuldigt drei Hochzug-Mitglieder, den unwürdigen Ritualen beigewohnt zu haben. Gegen diese drei werde konkret ermittelt, erklärt Siems, aber auch die übrigen Mitglieder des stehen unter Verdacht. Die Staatsanwaltschaft München II prüfte am Mittwoch, ob es sich um strafrechtlich relevante Vergehen handelte.
Nicht einmal die sechs Unteroffiziere des Hochzugs sollen etwas gewusst haben, sagt Siems. Der Kommandeur vermutet, dass seit Ende der 80er der Fux-Test Bestandteil der Kameradschaft im Hochzug war und erklärt: „Offenbar wurden diese Rituale gehütet wie ein Staatsgeheimnis.“
„Gebirgsjäger sind ein ganz eigenes Völkchen“, sagt Uwe Zeitter von dem Internetportal truppen.info. Der Bundeswehr-Experte berichtet, dass bei vermeintlichen Elitetruppen Aufnahmeprüfungen wie etwa das Schlucken von Cocktail-Mixturen bestehend aus Sardinen, Tabasco und Zigarettenkippen recht häufig vorkämen. Allerdings, so Zeitter, hätten während seiner aktiven Bundeswehr-Zeit die Vorgesetzten derlei Rituale versucht zu unterbinden.
Auch Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg leistete seinen Wehrdienst bei den Gebirgsjägern in Mittenwald ab. „Ich hatte von solchen Praktiken keine Kenntnis“, erklärt er und fordert lückenlose Aufklärung.
Michael Wolffsohn, Professor für Neuere Geschichte an der Bundeswehr-Universität München, sieht ein Problem in der Auswahl der Soldaten. Der Großteil der Bevölkerung würde sich der Bundeswehr entziehen und glaubt, bis zum nächsten Skandal werde es nicht lange dauern: „Wenn nur diejenigen, die mit normalem bürgerlichen Verhalten immer weniger zu tun haben, in die Bundeswehr kommen, dann werden wir eine dramatische Häufung solcher Ereignisse haben.“
Rohe Leber oder Dschungel-Camp - was ist schlimmer?
Ein ehemaliger Gebirgsjäger aus Mittenwald versteht die Aufregung nicht. „Im Dschungel-Camp essen sie Käfer, dort rohe Schweineleber, da frag ich: Was ist schlimmer?" Und auch eine junge Frau pflichtet ihm bei. „Gesoffen wird doch überall. Was glauben Sie denn, wie es hier zugeht, wenn einer bei den Trachtlern oder der Blasmusik dazugehören will.“
Reinhard Keck