Sinkende Umfragewerte: Wo ist Schulz?
Lange berauschten sich die Sozialdemokraten am Neuanfang mit ihrem Hoffnungsträger. Jetzt aber sinken die Umfragewerte. Der Kanzlerkandidat tut sich schwer, neue Akzente zu setzen. Seine Baustellen.
Der "Schulz-Zug" gerät ins Stocken. Seit 100 Tagen ist der Mann aus Würselen Hoffnungsträger der Sozialdemokratie, übernahm Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur von Sigmar Gabriel. Doch was ist von Martin Schulz’ fulminanten Start geblieben? Wofür steht er, wohin will er mit dem Land, falls er es regieren darf? Der Schulz-Effekt in den Umfragen hat nachgelassen. Die SPD fällt wieder unter die 30-Prozent-Marke, seine messbare Popularität lässt nach.
Auch wenn der 61-Jährige selbst die neuen Umfragen gelassen nimmt, wie er betont, muss er auf diesen Baustellen aufräumen, wenn er im September Kanzler werden will:
Inhalte: Schulz hat bisher nur einen großen Knaller geliefert. Er will längeres Arbeitslosengeld zahlen. Das unterstützen zwei Drittel der Deutschen. Gerade ältere Jobsuchende sollen besser qualifiziert werden. Das kommt bei SPD und Linken gut an. Die Arbeitgeber heulen auf.
CDU-Chefin Bundeskanzlerin Angela Merkel versucht, Kapital daraus zu schlagen. Seit Schulz Teile der Agenda 2010 schreddern will, fehlt in kaum einer Rede der Kanzlerin ein Lob für ihren SPD-Vorgänger Gerhard Schröder. Rund um den 1. Mai legt Schulz bei seinem Brot-Butter-Thema der sozialen Gerechtigkeit nach. Die Wirtschaft soll bei den Krankenkassen wieder so viel wie die Arbeitnehmer zahlen – das würde einen Durchschnittsverdiener um die 200 Euro im Jahr entlasten. Die Resonanz bleibt überschaubar, weil Bundeswehr-Skandal und Leitkulturdebatte aufpoppen.
Schulz dürfte auch auf seine Parteikollegin Andrea Nahles und ihre Pläne hoffen. Die Arbeitsministerin bastelt derzeit an umfassenden Reformen der Renten- und Krankenversicherung. Millionen Selbstständige sollen bei einem SPD-Wahlsieg verpflichtet werden, in die Rentenkasse zu zahlen, wie Nahles in der "Rheinischen Post" ankündigt. "Ich will verhindern, dass die knapp drei Millionen Selbstständigen, die nicht in einem Versorgungswerk abgesichert sind, in Altersarmut landen", sagt sie.
Wagenknecht stichelt: "Schulz ist nur ein Ziehsohn Gabriels"
Sie sei mit Schulz derzeit im Gespräch zum SPD-Wahlprogramm, verrät Nahles. Im Juni werde es vorgestellt. Darin einfließen würden ihre Pläne für eine Rentenreform. Die jungen Menschen bräuchten Sicherheit. "Deshalb müssen wir das Absinken des Rentenniveaus stoppen", erklärt sie.
Ob die SPD beim Programm-Parteitag Ende Juni in Dortmund auch ein durchgerechnetes Steuerkonzept vorlegt, ist noch offen.
Schwer tut sich Schulz auch in der Wirtschaftspolitik. Dem Land geht es gut. Rekordbeschäftigung, seit Jahren steigende Löhne und Gehälter, konsumfreudige Verbraucher. Bei den Arbeitgebern ist das Misstrauen groß. Sie warnen vor einem rot-rot-grünen Kanzler Schulz. Am kommenden Montag – direkt nach der Wahl in Schleswig-Holstein, wo sich derzeit an Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SPD und CSU andeutet – will Schulz eine wirtschaftspolitische Grundsatzrede halten. Kann er dort Akzente setzen?
Versucht, Akzente zu setzen, hat Schulz in einem Interview mit dem Automobilclub "Mobil in Deutschland". "Deutschland ist ein Auto-Land. Die Deutschen haben nicht nur das Auto erfunden, sondern bauen auch die besten Fahrzeuge. Das tägliche Leben ist für Millionen Menschen ohne Auto gar nicht vorstellbar", erklärt er in dem Gespräch. Und Schulz weiter: "Autos brauchen Straßen. Die SPD ist die Infrastrukturpartei. So autofreundlich hat sich in der SPD seit dem "Autokanzler" Gerhard Schröder kaum einer geäußert. Sollte er gewählt werden, wolle Schulz auf "bezahlbare, umweltfreundliche und sichere Mobilität" setzen.
Präsenz: Nach seiner Kür jubelt die SPD, Schulz habe einen strategischen Vorteil gegenüber Merkel. Während sie Kabinett, Europa-Krise und Trump im Zaum halten muss, kann er im ganzen Land als Kleine-Leute-Versteher Klinken putzen und Wählerstimmen sammeln.
Tatsächlich füllt Schulz anfangs die Säle der Republik. Mehr als 16.000 Menschen sind in die SPD eingetreten. Unermüdlich tourt er durch die Heimat NRW und an der Küste.
Aber wo sind TV-Auftritte mit Millionenreichweite? Im Bundestag darf er nicht reden. Aus dem Regierungsalltag hält er sich heraus. Mit der Großen Koalition will er nichts zu tun haben, um den Reiz des Neuen nicht zu belasten. Seit der Streit zwischen Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer um den Kurs in der Flüchtlingspolitik verblasst, scheint die Union zu alter Stärke zurückzufinden.
Konkurrenz: Sigmar Gabriel stiehlt Schulz die Show. Er ist als Außenminister beliebt geworden. Anders als Schulz ist der Goslarer, der spektakulär auf Vorsitz und Spitzenkandidatur verzichtete, fast jeden Abend in der Tagesschau. Gabriel bei Putin, Gabriel in Washington, Gabriel in Israel. Der Vizekanzler genießt die späte Popularität. Als SPD-Vorsitzender habe er fast acht Jahre "Scheiße fressen müssen", erzählte er einmal. Gabriel könnte sich zurücknehmen – er tut es nicht. Merkel macht sich das zunutze. Sie unterstützt Gabriel nach dem Eklat mit Israels Premier Benjamin Netanjahu, sie lobt den Außenminister. Alles, was Gabriel stärkt, schwächt die Wahrnehmung von Schulz.
Koalition: Rot-Rot-Grün sollte der Teppich sein, auf dem Schulz ins Kanzleramt schreitet. Seit dem Saarland ist alles anders. Dort siegt die CDU haushoch, auch weil die Wähler kein Lafontaine-Comeback wollen. Die Distanz in der SPD-Spitze zu den Linken ist gewachsen. Ohne ein 100-Prozent-Bekenntnis zu Deutschlands Pflichten bei EU, Euro, UN und Nato brauche sich Frontfrau Sahra Wagenknecht nicht blicken zu lassen. Öffentlich hält sich Schulz aber alle Möglichkeiten offen.
Wagenknecht hingegen nimmt klein Blatt vor dem Mund: Schulz habe als Agenda- und GroKo-Kritiker zwar einen großen Start hingelegt – mittlerweile sei er aber "als Kandidat des Weiter so und braver Ziehsohn seines Vorgängers Sigmar Gabriel" hart gelandet, stichelt sie.
Vielleicht kommt im Sommer der Moment, wo er Rot-Rot-Grün doch ausschließen muss, um die Mitte nicht zu verlieren. Und die Ampel? Schulz könnte sowohl mit Grünen als auch mit der FDP. Viele Grüne und Liberale verbindet jedoch nur Abscheu. Dann wieder GroKo? Diese Aussicht dürfte viele Schulz-Fans vergraulen. Sie verbinden mit ihm die Hoffnung auf einen politischen Neuanfang.
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