Sigmar Gabriel: Der SPD-Chef bei der AZ

Der Parteivorsitzende hat am Dienstag die Hopfenpost besucht. Im Gespräch mit der AZ lästert er über Angela Merkel und erklärt, warum aus Schwarz-Grün nichts werden kann.
von  mak, tan, zo
Der SPD-Chef Sigmar Gabriel im Gespräch mit (v.li.): AZ-Chefredakteur Arno Makowsky und den Redakteurinnen Annette Zoch und Anja Timmermann.
Der SPD-Chef Sigmar Gabriel im Gespräch mit (v.li.): AZ-Chefredakteur Arno Makowsky und den Redakteurinnen Annette Zoch und Anja Timmermann. © Daniel von Loeper

AZ: Herr Gabriel, nun steht ja offiziell fest, dass Peer Steinbrück ihr Kanzlerkandidat ist. Sind Sie froh, dass der Kelch an Ihnen vorbeigegangen ist, oder sind Sie auch ein bisschen enttäuscht?

SIGMAR GABRIEL: Ich bin froh, aber nicht, weil’s an mir vorbeigegangen ist. Sondern ich bin froh, dass der Parteitag meinem Vorschlag so geschlossen gefolgt ist: Peer Steinbrück ist der richtige Mann zum richtigen Zeitpunkt und für die richtigen Themen.

Wie ist diese neue Rolle für sie? Sie sind ja nicht gerade zur Zurückhaltung geboren, dürfen Steinbrück jetzt aber nicht die Show stehlen.

Wenn sie Vorsitzender einer Partei sind, dann müssen sie überlegen: Was sind die Bedingungen dafür, dass sie die Menschen von ihren Positionen überzeugen können? Die Wähler halten die SPD vor allem nur in sozialen Fragen für kompetent, mit Peer Steinbrück haben wir auch Kompetenz in Wirtschafts- und Finanzpolitik. Die Zeiten werden schwieriger, die Euro-Krise kommt auch nach Deutschland, und Bundeskanzlerin Angela Merkel ist darauf nicht vorbereitet. Im Gegenteil, sie macht noch 100 Milliarden Euro neue Schulden. Steinbrück dagegen hat Deutschland schon in der Finanzkrise 2009 gut durch schwierige Zeiten gebracht.

Die Parteilinke fremdelt mit Steinbrück. Wie viel Beinfreiheit hat er wirklich?

93 Prozent Wahlergebnis sprechen nicht dafür, dass Teile der SPD mit ihm fremdeln. Ich kann ja wenig mit dieser Zuschreibung links und rechts anfangen, das ist mir ein bisschen zu folkloristisch. Die SPD und Peer Steinbrück haben den gleichen Herzschlag. Er steht in der Mitte der SPD.

Woher nehmen Sie eigentlich diese Siegesgewissheit? Alle Umfragen zeigen, dass es für Rot-Grün nicht reicht.

Naja, alle Umfragen sprechen erstmal dafür, dass es für die jetzige Koalition nicht reicht. Gleichzeitig sagen alle Umfragen, dass eine breite Mehrheit die zentralen Positionen der SPD unterstützt – vom Mindestlohn über die Steuerpolitik bis zur Rente. Der Wahlkampf hat ja noch gar nicht begonnen. Ich bin relativ sicher, dass im Januar in Niedersachsen SPD und Grüne eine Mehrheit schaffen werden.

Haben Sie Sorge, dass sich die Grünen doch der Union zuwenden?

Nein. Ich glaube, dass den Grünen absolut klar ist, dass 80 bis 90 Prozent ihrer Wähler wollen, dass sie mit den Sozialdemokraten eine Regierung bilden. Es gibt zwischen uns einfach mehr Gemeinsamkeiten. Wie soll Frau Merkel mit den Grünen eine Koalition machen, und dabei Panzer nach Saudi-Arabien verkaufen? Politik ist ja nicht nur Mathematik. Wenn sie eine Koalition machen nur deshalb, weil es zahlenmäßig reicht, dann landen sie da, wo die jetzige Regierung ist, die seit drei Jahren nichts zusammenkriegt.

Gilt das auch für die FDP? Wäre eine Ampel denkbar?

Die FDP ist doch in einer so verzweifelten Lage, dass sie die Ampel nur deshalb ins Gespräch bringt, um sich selbst ein bisschen interessant zu machen.

Und gesetzt den Fall, es geht nur mit ihr?

Es gab immer zwei liberale Parteien in Deutschland: Eine linksliberale und eine wirtschaftsliberale. Nur in den Siebzigern waren diese beiden in einer Partei: In der FDP von Walter Scheel. Und heute gibt’s wieder zwei liberale Parteien: Das sind die FDP und die Grünen. Einen größeren strategischen Fehler konnte Westerwelle damals nicht machen, als die FDP zu einer rein marktradikalen Partei umzubauen in einer Zeit, in der das liberale Potenzial von Wählern auf rund 20 Prozent gewachsen ist. Das hat er verpennt, und diejenigen, die das heute einsammeln, sind die Grünen. Die Grünen sind eine bürgerlich-liberale Partei.

Also jetzt: Ampel oder nicht? Oder kommt doch die große Koalition?

Wir wollen Rot-Grün. Und neun Monate vor einer Wahl muss man sagen, was man will. Es macht wenig Sinn darüber zu debattieren, was man nicht will. Die FDP muss sich allerdings Sorgen machen: Sie kommt nur noch über Leihstimmen aus der Union rein. Hören Sie sich da die Parteitagsrede von Frau Merkel nochmal an. Sie bezeichnet die FDP als „Prüfung Gottes“ – eine Leihstimmenkampagne hört sich anders an. Frau Merkel hat eine klare Strategie: So stark wie irgendwie möglich zu werden.

Wie erklären Sie sich die enorm hohen Sympatheiwerte für Bundeskanzlerin Angela Merkel?

Ich muss zugeben: Bundeskanzlerin Angela Merkel ist menschlich eine angenehme Person. Und sie inszeniert sich sehr geschickt. Sie suggeriert, da sitzen die Europäer alle um den Tisch - und ganz vorne sitzt Mutti und macht die Handtasche zu. Und immer wenn einer reingreifen will, sagt sie: Finger weg!

Herr Gabriel, sind Sie etwa ein Merkel-Fan?

Nein, ganz und gar nicht. Und die Realität ist gar nicht spaßig: Merkel kam von der Position „kein Cent für Griechenland“, und jetzt haben wir das dritte Hilfspaket. Merkel hat sich in der Europapolitik immer parteitaktisch verhalten. Das hat den deutschen Steuerzahler bares Geld gekostet. Sie hat 26 europäischen Staaten das gesagt, was die Deutschen gerne hören, nämlich: Ihr müsst sparen! Aber wenn sie in 26 Staaten zeitgleich sparen, dann kommt eine Wirtschaftskrise raus. Und für wen wird das am schwierigsten? Für das Land, dem es nur dann gut geht, wenn die anderen unsere Autos kaufen. Also uns. Das passiert jetzt gerade.

Trotzdem wird ihr in der Krise die höchste Kompetenz zugesprochen.

Merkels Politik hat die Krise aber nicht gelöst, sondern noch verschlimmert! Und was machen Sie denn, wenn sie superpopulär sind und superstark – und dann bei 38 Prozent und ohne Koalitionspartner? Ganz ehrlich: Wenn die angeblich mächtigste Frau der Welt nur 38 Prozent hat, dann lässt mich das nicht in Ehrfurcht erstarren.

Sie kommen gerade von Hans-Jochen Vogel. Was hat er Ihnen gesagt?

Im Gespräch mit ihm merke ich vor allem: Die Generation, die die Demokratie in Deutschland nach dem Krieg aufgebaut hat, die hatte es viel schwerer. Bei aller Krisen-Angst: Es gibt für uns keinen Grund zum Jammern. Die SPD wird nächstes Jahr 150 Jahre alt. Als Sozialdemokrat mit 149 Jahren Geschichte im Rücken hat man Grund zu historischem Optimismus.

Können 150 Jahre nicht auch eine Last sein?

Die 150-jährige Geschichte ist überhaupt keine Last, sondern eine große Kraftquelle. Nur einmal war es schwer: Bei der Bundestagswahl 2009 hatten wir das schlechteste Ergebnis seit der Weimarer Republik. Als ich da ins Willy-Brandt-Haus kam, an dieser riesigen Statue vorbei – da dachte ich: Auweia.

Wie wichtig ist die bayerische Wahl für die Bundestagswahl? Ude ist ja stark gestartet, dümpelt jetzt nur herum.

Die Wahl ist sehr wichtig – vor allem für die Menschen in Bayern. Aber wo wir können, werden wir auch jede Unterstützung aus Berlin leisten. Die SPD hat eine realistische Chance, die CSU abzulösen. Und das ist vor allem ein Verdienst von Christian Ude, der wirklich ein exzellenter Spitzenkandidat ist.

Was war eigentlich stressiger? Der SPD-Parteivorsitz oder die Elternzeit bei ihrer kleinen Tochter?

Die Elternzeit war wunderbar, und noch heute ist der schönste Tag der Woche der Mittwochnachmittag. Das ist nämlich der Tag, an dem ich auf meine Tochter aufpassen darf. Außerdem: Wenn ich gewusst hätte, wie viele junge Frauen man in der Damentoilette kennenlernt, während man da ein Baby wickelt, hätte ich mir früher vielleicht mal eins geliehen.

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