Sigmar Gabriel: Der Kanzler der Reserve

Die Koalition zerlegt sich, die SPD fühlt sich wieder stark und ihr Parteichef profiliert sich als seriöser Staatsmann. Und doch ist er heilfroh, zurzeit nicht mitregieren zu müssen.
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Die Koalition zerlegt sich, die SPD fühlt sich wieder stark und ihr Parteichef profiliert sich als seriöser Staatsmann. Und doch ist er heilfroh, zurzeit nicht mitregieren zu müssen.

BERLIN Es ist erst acht Monate her: Im September 2009 stand den Sozis das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Die SPD war auf desaströse 23 Prozent abgestürzt. Im Willy-Brandt-Haus herrschte Endzeitstimmung. Jetzt hat sich das Bild völlig gewandelt: „Die glücklichste Partei der Welt“, nannte der „Spiegel“ die SPD vor kurzem. Bei der Vorstellung ihres Präsidentschaftskandidaten Joachim Gauck standen Parteichef Sigmar Gabriel und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier kraftstrotzend und breit grinsend vor der Bundespressekonferenz. Heute herrscht Endzeitstimmung bei Schwarz-Gelb. 47 Prozent der Deutschen wollen Neuwahlen (s. Kasten). Und die Sozialdemokraten wittern Morgenluft.

Staatsmännisch-kanzlerhaft hat Gabriel der Kanzlerin einen „Pakt der Vernunft“ angeboten: „Wir kennen den Ernst der Lage. Wir beschränken uns nicht darauf, einfach dagegen zu sein.“ Außerdem will die Partei ein eigenes Sparkonzept erarbeiten, kündigte der parlamentarische Geschäftsführer Thomas Oppermann an.

Klingt alles wunderbar. Nur tatsächlich dürfte die SPD ganz froh sein, derzeit nicht regieren zu müssen. „Ich vermute, das ist der schlimmste Albtraum von Herrn Gabriel: Dass plötzlich Bundeskanzlerin Angela Merkel anruft und sagt: Machen wir große Koalition!“, sagt Politikwissenschaftler Timo Grunden von der Uni Duisburg.

Denn die letzte große Koalition hat der SPD massiv geschadet. Neuwahlen sind auch keine Lösung: Die SPD kann in den Umfragen nur wenig von der schwarz-gelben Krise profitieren – ganz anders als beispielsweise die Grünen. „Neuwahlen jetzt wären für die SPD zu früh“, sagt Grunden. „Noch hat Gabriel die SPD nicht so weit stabilisiert. Und auch er selbst hat noch nicht das Standing als Kanzleralternative.“

Sigmar Gabriel muss nur nach NRW blicken, um einen Eindruck vom drohenden Horror-Szenario zu bekommen: Spitzenkandidatin Hannelore Kraft hat zwar Gewinne für ihre Partei eingefahren, für eine komfortable Regierungsmehrheit reicht es aber nicht. Alle Dreierbündnisse sind gescheitert, und bei einer großen Koalition setzt sie ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel.

Die Bundes-SPD drängt Kraft zur Minderheitenregierung, und sie wäre „im Ernstfall“ dazu bereit – die SPD braucht die Stimmen im Bundesrat, um schwarz-gelbe Projekte verhindern zu können.

Politologe Grunden glaubt nicht an ein vorzeitiges Ende der Koalition: „Das einzige, was Schwarz-Gelb noch zusammenhält, sind die schlechten Umfrageergebnisse. Die FDP müsste bei Neuwahlen um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen, die Union kratzt an der 30-Prozent-Hürde. Beide Parteien können zurzeit gar nicht anders, als gemeinsam weiterzumachen."

Sigmar Gabriel dürfte das freuen. Bis 2013 ist noch viel Zeit. Und bis dahin profitiert vielleicht auch die SPD vom Koalitionschaos. Annette Zoch

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