"Sie zappeln noch": Hubers und Becksteins Kampf ums Überleben

Dramatische Stunden im CSU-Parteivorstand: Erwin Huber und Günther Beckstein versuchen händeringend, ihren Rücktritt doch noch irgendwie zu vermeiden. Mit dem Mut der Verzweiflung setzen sie jetzt auf einen Sonderparteitag am 25. Oktober. Horst Seehofer und Edmund Stoiber halten sich noch zurück - zumindest vor den Kulissen.
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MUENCHEN - Dramatische Stunden im CSU-Parteivorstand: Erwin Huber und Günther Beckstein versuchen händeringend, ihren Rücktritt doch noch irgendwie zu vermeiden. Mit dem Mut der Verzweiflung setzen sie jetzt auf einen Sonderparteitag am 25. Oktober. Horst Seehofer und Edmund Stoiber halten sich noch zurück - zumindest vor den Kulissen.

Auf geht’s beim Schichtl! Jetzt müssen in der CSU die Köpfe rollen. Als erste ist CSU-Generalsekretärin Christine Haderthauer dran. Dann Parteichef Erwin Huber. CSU Ministerpräsident Günther Beckstein will seinen Kopf noch retten. Doch kaum einer glaubt daran, dass ihm das nach diesem historischen Wahldebakel gelingen wird.

Die drei wollen sich nicht auseinanderbringen lassen. Noch zappeln sie, weigern sich, an die Guillotine zu treten. Das Trio versucht, auf Zeit zu spielen, die Dynamik des Untergangs aufzuhalten. Die drei wollen noch 26 Tage Luft schnappen und Zeit gewinnen- bis zu einem Sonderparteitag am Samstag, den 25. Oktober, in München. Sie kämpfen und überstehen den ersten Tag in der neuen Zeitrechnung Bayerns. Das AZ-Protokoll der spannenden Stunden.

Schon am frühen Morgen überleben Beckstein und Huber einen ersten Mini-Putsch. Der ist ganz zaghaft. Horst Seehofer und Edmund Stoiber sind früh aufgestanden an diesem Montagmorgen. Die Drähte glühen zwischen Wolfratshausen und Ingolstadt. Stoiber will, dass Seehofer beide Ämter übernimmt, Parteichef und Ministerpräsident wird.

Huber und Beckstein wollen Seehofer nicht beichten - und auch nicht weichen

Um 7 Uhr trifft sich Seehofer, der Sozial- und Herz-Jesu-Politiker, mit Huber und Beckstein, um ihnen die letzte Beichte abzunehmen. Doch die beiden Verlierer wollen nichts beichten und schon gar nicht weichen. Sie wollen sich nicht trennen lassen. Beide trauen dem selbstverliebten Bundeslandwirtschaftsminister nicht zu, die CSU zu einen und das Land zu regieren. Die Mehrheit der Bezirksvorsitzenden und die Fraktion haben sie in der Abwehr Seehofers hinter sich.

Noch in der Wahlnacht haben Huber und Beckstein gemeinsam mit Fraktionschef Georg Schmid die Abwehrmauer gegen Seehofer aufgebaut. Christine Haderthauer hat da schon ihren Rücktritt angeboten. Huber lehnt ab, will die Kette nicht aufbrechen, er weiß: Geht eine, sind die anderen nicht mehr zu halten. „Wir machen niemanden zum Sündenbock. Es wird kein Bauernopfer geben.“

Bis spät nach Mitternacht saßen sie in Schmids Büro im Maximilianeum, um die Taktik zu besprechen. Es gelingt. Seehofer hat noch keine Truppen. Hinter ihm steht nur ein einziger Mann: Edmund Stoiber.

Söder verhält sich verdächtig unauffällig

Markus Söder, der auch in den Startlöchern sitzt, und der im Schlepptau von Seehofer nur allzu gern seine Chance ergriffen hätte, verhält hält sich an diesem Tag ganz unauffällig und ruhig.

Stoiber trifft sich am Montag um 7.30 Uhr nur einen Steinwurf von der Landesleitung entfernt in der Adamstraße mit seinen Oberbayern. In der Wahlnacht mussten die von allen Bezirksverbänden die allerschwerste Niederlage hinnehmen.

Die Stimmung ist wie auf einer Beerdigung, Stoiber hält die Trauerrede

In der Geschäftsstelle im ersten Stock hat sich schon Bezirkschef Siegfried Schneider, der bayerische Kultusminister, versammelt mit seiner Stellvertreterin, der Bundestagsabgeordneten Ilse Aigner, Wissenschaftsminister Thomas Goppel und dem engeren Vorstand. Die Stimmung ist wie auf einer Beerdigung. Schnell ist man sich einig, dass auch Becksteins Kopf rollen müsse. Die alte Oberbayern-Franken-Front bricht wieder auf.

Stoiber fährt hinüber in die Hanns-Seidel-Stiftung, droht, er werde sich als „Ehrenspielführer einbringen“ und hält schon die Trauerrede. Seine Stimme ist leise und belegt: „Das ist der bitterste Moment in meinem politischen Leben. Die CSU ist nicht mehr der Mythos, der sie war. Wir müssen mit neuem Mut hineingehen in die neue Herausforderung.“ Was übersetzt heißt: Wir brauchen neue Leute. Dann appelliert er an die Verantwortlichen: „Alle müssen versuchen, den richtigen Weg zu finden.“

"Da wird kein Stein mehr auf dem anderen bleiben."

Um 8.30 Uhr treffen die zehn Bezirksvorsitzenden ein. Schon auf der Fahrt dort hin kündigt einer der AZ an: „Da wird kein Stein mehr auf dem anderen bleiben.“ Auch Fraktionschef Georg Schmid kommt dazu. Es ist eine gespenstische Atmosphäre.

Ein paar aus der CSU-Spitze sagen was, andere drücken sich wie geprügelte Hunde an den Journalisten und Kameras vorbei. Schmid kündigt die Hinrichtung Hubers an: „Das ist eine Frage, die wir entscheiden müssen – schnell, sehr schnell. Wenn man Konsequenzen ziehen will, kann man das nicht ewig hinausziehen.“

Horst Seehofer kommt mit stolz geschwellter Brust: „Wir brauchen eine Verjüngung.“ Ob er, der 59-Jährige, die ist? Huber und Beckstein nehmen lieber den Hintereingang durch die Tiefgarage.

In der Sitzung herrscht erstmal die ganz große Ratlosigkeit. Um 10.30 Uhr meldet einer der Teilnehmer der AZ: „Allzu viele Fragen allzu offen.“ Zehn Minuten später gibt ein andere durch: „Sie zappeln noch.“

Kurz darauf sickert durch: Die CSU wird in vier Wochen, am 25. Oktober, in München einen Sonderparteitag abhalten. Lange kann es jetzt eigentlich nicht mehr dauern.

Um 13.30 kommt die Nachricht: "Es wird enger für alle drei"

Um 13.30 Uhr erreicht die AZ die Meldung aus der Sitzung: „Es wird enger für alle drei.“ Huber und Beckstein haben ihre Pressekonferenz verschoben. Um 13.50 Uhr kommt aus der Staatskanzlei die Meldung: „In einer Stunde gibt es eine Erklärung.“ Im Büro des Ministerpräsidenten herrsche Totenstille. Ist das das Zeichen für das Ende, nach knapp einem Jahr Regentschaft? Haben Huber und Beckstein den Kampf jetzt aufgegeben? Treten beide zurück?

„Keiner!“, wird um 13.50 Uhr aus der Krisensitzung in die AZ gefunkt. Es bleibt still. Die Journalisten und Kamerateams haben inzwischen in der Hanns-Seidel-Stiftung das Büfett leer geräumt mit Brezn und naturtrüben Apfelsaft.

Huber kämpft um sein politisches Überleben. Kämpfen, das kann er wie kein anderer. Er musste es sein Leben lang. Bis aus dem armen Buben aus Niederbayern, dessen alleinstehende Mutter auf einem Bauernhof Tagelöhnerin war, im Alter von 61 Jahren der Vorsitzende der CSU wurde. Für ganze zwölf Monate.

Huber weiß, dass er sich nicht mehr halten kann. Um 14.40 Uhr tritt er vor die Kameras: „Ein einfaches ,Weiter so’, wird es nicht geben. Das ist der Startschuss für eine gründliche und intensive Diskussion in den Gremien.“ Er spricht von „Geschlossenheit“, von „Gemeinsamkeit“, von „Einvernehmen“ und von einem „geordneten Einvernehmen“ das es am Ende geben soll. Nur über Personen zu reden, das sei zu kurz gesprungen.

Horst Seehofer ist der Putschist in Lauerstellung

Doch Hochspringen kann die gestutzte CSU nicht mehr. Und ihr Führungsduo schon gar nicht. Die Zeit läuft. Am 20.Oktober muss sich der Landtag konstituieren. Am 25.Oktober ist der Sonderparteitag. Zwei Tage später muss der neue Ministerpräsident im Landtag gewählt werden. Die größten Chancen dafür hat derzeit Bayerns Innenminister Joachim Herrmann.

Und dazwischen müssen die Koalitionsverhandlungen ablaufen. Die Bundestagsfraktion fordert in der Sitzung, dass auch sie daran beteiligt wird. Beckstein und Huber sagen Ja, bitten um einen Vorschlag. Das war ein Fehler: Die Landesgruppe schlägt Horst Seehofer vor, den Putschisten in Lauerstellung. Jetzt sitzt er Huber und Beckstein vier lange Wochen im Nacken.

Auch bei den Teilnehmer der Krisensitzung gibt es danach lange Gesichter. Einer berichtet von der Sitzung: „Die Führung hat versucht, eine Tagesordnung festzulegen und einen Verhandlungsauftrag von uns erhalten. Den haben wir ihr gegeben. Aber unter dem Vorbehalt, dass wir halt dann was anders machen.“ Und das wird dann so aussehen: „Wenn Huber und Beckstein nicht selber gehen, wird es die Basis fordern.“ So wie damals im Winter 2007 bei Edmund Stoiber.

Angela Böhm

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