Sie versenken sich selbst
Die Piraten schwammen auf einer Welle der Sympathie in vier Landtage. Jetzt herrscht Flaute in den Umfragen, und die Freibeuter erledigen sich selbst
Es war einmal ein Sturm. Gar nicht so lange her, da zitterte die politische Landschaft unter dem Orkan, den die Piraten auslösten. Bei zwölf Prozent lagen sie in den Umfragen. Im April war das. Und jetzt: Flaute. Vier Prozent, höchstens: „Ich kann nicht ausschließen, dass das alles ein Strohfeuer war“, sagt Bayerns Landeschef Stefan Körner.Die Piraten erledigen sich selbst – und auch das bisweilen mit Unterhaltungswert.
Am Wochenende ist Programmparteitag in Bochum. Delegierte gibt es nicht. „Bis zu 2000“ Piraten werden erwartet, sagt Vorstandsmitglied Matthias Schrade. „Der Parteitag ist offen.“ So wie Schrades Zukunft. Er hat sich nicht festgelegt, ob er weitermachen will. Nichts Genaues weiß man nicht. Das ist Markenzeichen der Freibeuter geworden. Sozusagen das große Leck im Rumpf. Und es ist niemand da, es zu stopfen – das Schiff sinkt, und keiner weiß Rat.
Freibier-für- alle-Politik
„Wir sind auf einem Tiefpunkt, und haben von hier eine gute Ausgangslage für unsere künftige Arbeit“, sagt Sebastian Nerz. Der war mal Parteichef, vorher bei der CDU, jetzt ist er Vize. Was wie eine Durchhalteparole klingt, ist relativ nüchtern im Vergleich zur sonstigen Piraten-Bilanz. Eine ungeahnte Sympathiewelle spülte die junge Partei im September 2011 ins Berliner Abgeordnetenhaus. Freies Internet, keine Netz-Zensur, freies Kopieren von Netzinhalten, bedingungsloses Grundeinkommen! Mit Freibier-für-alle Politik holten sie neun Prozent und ließen die andere alt aussehen.
Aus der Welle wurde ein Tsunami, die Piraten zogen in Nordrhein-Westfalen, in Schleswig-Holstein und im Saarland in die Landtage. Und jetzt?
Sex-Gezwitscher
Gibt es einen Bundesgeschäftsführer namens Johannes Ponader. Der 35-Jährige lebte als Ex-Stipendiat und Einser-Abiturient von Hartz IV. Als das partei-intern für Aufregung sorgte, wollte er sich von Spenden der Mitglieder finanzieren lassen. Auch das wurde nichts. Heute sieht er das als „Fehler“. Er will „daraus lernen“. Außerdem erzählt er gerne über seinen „polyamanten Lebensstil“, was die Liebe zu mehreren Personen bedeutet. In Talkshows tauchte er in Sandalen auf.
Zu Prominenz hat es zuletzt auch Birgit Rydlewski gebracht. Die 42-jährige Abgeordnete twitterte aus dem Düsseldorfer Landtag heraus, wie langweilig Plenarsitzungen sind, und wie sehr sie Lust auf Sex habe. „Nicht angemessen“, kritisierte das Landtagspräsidium die gelernte Lehrerin.
Weniger amüsant der Twitter-Auftritt des Fraktions-Kollegen Dietmar Schulz: Das Gedenken der Juden zum Volkstrauertag, während „gleichzeitig Israel bombt, was das Zeug hält“, fand der Abgeordnete „grotesk“. Nur mit Verspätung mochte er sich entschuldigen.
Der Chef sucht seinen Kurs
Es ist nicht so, dass die Piraten nur Unsinn fabrizierten. Martin Delius in Berlin sitzt dem Untersuchungsausschuss zum Flughafen-Desaster vor: „Das Vertrauen zur Politik muss wiederhergestellt werden“, sagt er und klingt dabei ganz wie die Altparteien. Der Chef der Piraten, Bernd Schlömer, ist im Hauptberuf Beamter im Verteidigungsministerium. Aber weder für sich noch für seine Partei hat er eine Rolle gefunden: „Einige sagen, ich soll mehr auf den Putz hauen, andere meinen, ich sollte mich zurückhalten.“ Seinem merkwürdigen Bundesgeschäftsführer Ponader jedenfalls rät er, „mal zu arbeiten“. Könnte zu spät sein.
Führungsfiguren wie Julia Schramm oder Marina Weisband haben hingeworfen, wollten dann doch wieder oder vielleicht nicht. Der Programm-Parteitag müsste sich mit 650 Anträgen befassen, darunter mit 14 Wirtschaftsprogrammen – was allein zeitlich völlig ausgeschlossen ist. Die Kaperfahrt scheint jedenfalls gestoppt. Schon deshalb, weil die Landesliste für die Wahl in Niedersachsen im Januar womöglich unrechtmäßig zustande kam. Ohne Liste aber haben kleine Parteien keine Chance. Heute entscheidet der Landeswahlleiter. Blubb, blubb, noch ein Loch im Rumpf.