"Sie sehen einen sehr traurigen Menschen"

Die dunkle Seite des strahlenden Staatsmannes: Walter Kohl (53) und sein Bruder Peter (51) hatten seit Jahren keinen Kontakt mehr zu ihrem Vater. Ein beklemmendes Familien-Porträt.
Christiane Jacke |
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Witwe Maike Kohl-Richter mit dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Frankfurt, Salomon Korn (M.), und Ex-Bild-Chefredakteur Kai Diekmann.
Witwe Maike Kohl-Richter mit dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Frankfurt, Salomon Korn (M.), und Ex-Bild-Chefredakteur Kai Diekmann.

Walter Kohl erfährt aus dem Radio vom Tod seines Vaters. Jahrelang hatte er keinen Kontakt zu dem Mann, der international als "großer Staatsmann" und "großer Europäer" gewürdigt wird. Für Walter Kohl war der Vater Helmut nicht der Held der Wiedervereinigung, nicht der Wegbereiter der Europäischen Union, sondern eine Enttäuschung - einer, der nicht da war, der sich nicht kümmerte, der den Kontakt abbrach.

Im Sommer 2011 habe er das letzte Mal mit seinem Vater telefoniert, danach habe er ihn nicht mehr besuchen dürfen, erzählt Walter Kohl. Erst jetzt betritt er sein Elternhaus wieder. Erst jetzt, wo es den Vater nicht mehr gibt.

Als der 53-Jährige am Freitagabend in Ludwigshafen-Oggersheim ankommt, muss er erst länger mit der Polizei diskutieren, bis er zu dem Haus durchkommt. Walter Kohl beklagt sich, es sei schlimm, wenn ein Kind nicht zu seinem toten Vater dürfe.

Als er später wieder aus dem Haus kommt, wirkt er aufgewühlt, auf leise Art. Den vielen Mikrofonen weicht er nicht aus. Er lässt die Öffentlichkeit teilhaben an beklemmenden Details aus dem Innersten der Familie Kohl, einmal mehr.

Teil des politischen Bühnenbildes? Hannelore, Peter (l.) und Walter Kohl spielen 1975 im Sommerurlaub in St. Gilgen mit zwei Kätzchen. Foto: dpa

"Sie sehen einen Menschen, der eben sehr traurig ist", sagt Walter Kohl da. "Mein Vater hat ja allen Kontakt abgebrochen zu vielen Menschen in seinem Umfeld." Das gelte für ihn und seinen jüngeren Bruder Peter (51). Aber auch seine Enkel habe Helmut Kohl nicht sehen wollen. Die Kinder hätten sehr darunter gelitten, "dass ihr Großvater für sie nicht erreichbar war".

Wie sehr er selbst als Kind gelitten hat, darüber hat Walter Kohl schon viel Auskunft geben, unter anderem in seinem Buch "Leben oder gelebt werden". Darin seziert er schonungslos das Leben im Hause Kohl, erzählt von Kälte und Distanz. Er beschreibt den Vater als einen, der alles für die Politik gab und für den die Familie nicht mehr war als Teil des politischen Bühnenbildes. Walter Kohl schildert, wie er vom Tod seiner Mutter erfuhr. Ein Anruf: "Walter, deine Mutter ist tot." Die Stimme am Telefon gehörte nicht dem Vater, sondern dessen Büroleiterin.

2001 war das. Hannelore Kohl nahm sich damals das Leben. Sie starb an einer Überdosis Schlaftabletten, daheim in Oggersheim, während Helmut Kohl in Berlin war. Jahrelang war sie krank, litt unter einer Lichtallergie, musste im Dunkeln leben. 41 Jahre war sie mit Helmut Kohl verheiratet.

Die Details der zweiten Hochzeit erfahren die Söhne aus den Medien

Und auch von ihr gibt es eine Biografie, die einiges Düstere aus dem ihrem frühen Leben und dem späteren als Kanzlergattin offenbart - und manche Spannung mit ihrem Mann.

Sieben Jahre nach dem Tod von Hannelore heiratete Helmut Kohl wieder: Maike Richter. Eine Volkswirtin, die später als Redenschreiberin im Kanzleramt arbeitete und Kohl dort in den 90ern kennenlernte. Die beiden gaben sich 2008 das Ja-Wort - in der Kapelle eines Reha-Zentrums. Kohl war schwer gestürzt und hatte ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten. Seitdem saß er im Rollstuhl und konnte nur noch schwer sprechen.

Der neuen Frau an seiner Seite wurde von vielen vorgeworfen, sie habe immer schon an den 34 Jahre älteren Kohl herankommen wollen, habe ihn systematisch abgeschottet, alle Fäden in die Hand genommen und dafür gesorgt, dass er alte Bünde kappt - zu seinen Söhnen, zu alten Vertrauten wie seinem Fahrer "Ecki" Seeber.

Seeber versucht am Todestag ebenfalls zu seinem alten Chef durchzukommen, um sich zu verabschieden. Ohne Erfolg.

Witwe Maike Kohl-Richter mit dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Frankfurt, Salomon Korn (M.), und Ex-Bild-Chefredakteur Kai Diekmann.
Witwe Maike Kohl-Richter mit dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Frankfurt, Salomon Korn (M.), und Ex-Bild-Chefredakteur Kai Diekmann.

Witwe Maike Kohl-Richter mit dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Frankfurt, Salomon Korn (M.), und Ex-Bild-Chefredakteur Kai Diekmann. Foto: dpa

Auch Kohls Söhne Walter und Peter hatten in den vergangenen Jahren kaum noch Zugang zu ihrem Vater. Von der zweiten Hochzeit mit Maike Richter erfuhren sie damals nur durch ein Telegramm, die Details aus der Zeitung.

Walter Kohl arbeitet heute als "Redner, Autor, Begleiter und Coach", wie er es selbst nennt. Er schrieb nach seinem ersten Buch noch zwei weitere. Und Peter Kohl verfasste als Co-Autor eine Biografie über seine Mutter Hannelore.

Draußen vor dem Haus in Oggersheim, am Todestag seines Vaters, sagt Walter Kohl noch, er wolle zu früheren Zeiten in diesem Moment nicht viel sagen.

Er könne nur seiner Trauer Ausdruck verleihen, dass sein Vater jetzt gestorben sei "und dass das alles in dieser Weise passiert ist". Dann diese tieftraurigen Sätze, ernüchtert, resigniert: "Ich finde es schade, wenn man nicht in der Lage ist, die Dinge in diesem Leben zu regeln. Ich habe das versucht, über verschiedene Kanäle, ohne großes Glück."

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