„Sie leben ihre Aggressionen an den Schutzlosen aus“

Extremismus-Expertin Britta Schellenberg erklärt im AZ-Interview, welcher Charakter sich hinter rechter Ideologie verbirgt und warum fremdenfeindliche Gewalt öffentlich sichtbar bestraft werden sollte
von  Tobias Wolf
Dr. Britta Schellenberg
Dr. Britta Schellenberg

AZ: Frau Schellenberg, warum stecken Menschen Flüchtlingsheime in Brand?

BRITTA SCHELLENBERG: Wegen rechtsextremer Ideologien oder allgemeiner Kriminalität und Aggressivität. Rechtsextreme verachten nicht-völkische Deutsche. In ihren Augen sind das keine Menschen. Flüchtlingen und ihren Unterkünfte wird der Krieg erklärt, ebenso aber prinzipiell auch Demokraten, Politikern und Polizisten – wie wir gerade in Heidenau gesehen haben.

Welche Charaktere verbergen sich hinter einer rechtsradikalen Ideologie?

Bei der Beschäftigung mit Täterbiografien fällt auf, dass hier oft Leute am Werk sind, die bereits in verschiedenen Bereichen straffällig geworden sind, zum Beispiel Autodiebstahl oder Körperverletzung. Das weist darauf hin, dass Leute ihre bereits vorhandenen Aggressionen hier an Flüchtlingen, einem besonders schutzlosen Glied der Gesellschaft, ausleben.

Nimmt 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg Fremdenhass wieder mehr Raum in der Gesellschaft ein?

Die Einstellungsuntersuchungen bezeugen ja tatsächlich das Gegenteil: Die Deutschen werden mit zeitlichem Abstand zu Nationalsozialismus und Holocaust kontinuierlich weltoffener und „fremdenfreundlicher“. Das Problem aktuell ist: Die verbalen wie gewalttätigen Übergriffe nehmen zu. Pro Asyl und die Amadeu Antonio Stiftung verzeichnen für das Jahr 2014 immerhin 247 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, davon 36 Brandanschläge, sowie 81 tätliche Angriffe auf Flüchtlinge. Das ist eine sehr beunruhigende Entwicklung.

Wo verläuft die Grenze zwischen „besorgten Bürgern“ und Rechtsextremisten?

Rechtsextreme lehnen unsere Verfassung ab. Insbesondere Artikel 1 des Grundgesetzes, in dem es heißt, die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie bestreiten, dass Menschen gleichwertig sind und verneinen auch das staatliche Gewaltmonopol. Tatsächlich gibt es auch rassistische Vorurteile jenseits des Rechtsextremismus, bei Bürgern aus der Mitte der Gesellschaft. Darüber hinaus gibt es diejenigen, die von der neuen Weltlage verunsichert sind, die Neues stets verunsichert, und jene, die kein Mitgefühl empfinden mit der vertriebenen Familie, die zu ihnen in die Gemeinde kommt. Das sind keine Rechtsextremen.

Und es gibt die, die sich – ohne jeden Fremdenhass – Gedanken machen, wie Deutschland jedes Jahr 800 000 Menschen aufnehmen soll.

Hier ist die Politik gefragt. Sie muss kommunizieren, wie sie mit der Flüchtlingskrise umgehen will. Sie muss eine Gesamtstrategie vorlegen, den Bürgern Antworten liefern.

Rechtsextremisten versuchen mit ihrer Propaganda, verunsicherte Menschen auf ihre Seite zu ziehen.

Genau. Rechtsextreme tarnen sich gerne als „besorgte Bürger“, um bei ihrem ideologischen Wirken gegen Flüchtlinge die Bürger vor Ort nicht zu verprellen, sondern für sich zu gewinnen. Sie versuchen, diese Menschen für ihre pauschale Hetze zu gewinnen und Aggression anzustacheln.

Mit Argumenten kommt man gegen Neonazis nicht an.

Tatsächlich sind ideologiefeste Rechtsextreme nicht offen für demokratische Auseinandersetzung. Diese ist aber immer nötig, wenn die Welt im Wandel ist und Lösungen gefunden werden müssen.

Wie können Behörden und Politik entgegenwirken?

Es ist wichtig, die Debatte ehrlich zu führen: Die meisten Menschen, die aktuell auch nach Deutschland kommen, sind vorwiegend nicht kriminell, sondern hilfsbedürftig – unser Rechtsstaat erkennt das an. Die Politik muss vernünftig organisieren – in Deutschland und auch andernorts. Zudem muss sie sich davor bewahren, Ängste gegen Flüchtlinge zu schüren.

Bislang handelt die Politik eher unglücklich.

Die Behörden, manchmal auch die Politik, sind mit der Aggression überfordert. Wir haben aktuell ein Problem der Inneren Sicherheit. Die Täter müssen noch häufiger gefunden und für alle Öffentlichkeit sichtbar bestraft werden.

Was kann jeder Bürger tun?

Wir sehen viel Offen- und Warmherzigkeit gegenüber Flüchtlingen in der Bevölkerung. Es gibt aktuell eine Welle von ehrenamtlichem Engagement, das bislang in diesem Ausmaß unbekannt war. Viele Bürger helfen Flüchtlingen, sie spenden, kochen, begleiten sie bei Behördengängen oder stellen Wohnraum zu Verfügung. Von der Evangelischen Landeskirche habe ich gerade gehört, dass es kaum eine bayerische Gemeinde gibt, in denen Bürger nicht aktiv Flüchtlinge willkommen heißen.

Facebook wird mit Fremdenhass überflutet. Können dadurch auch unbescholtene Bürger radikalisiert werden?

Das digitale Zeitalter führt dazu, dass Äußerungen für alle Ewigkeit festgehalten und einer erheblichen Anzahl von Lesern zugänglich gemacht werden. Auch früher gab es rassistische Hetze. Doch im Stammtischgespräch blieb sie im kleinen Kreis. Natürlich haben sich auch hier Leute radikalisiert – doch Facebook und Co. ermöglichen nun eine enorme Verbreitung der Hetze. Gerade für Unsichere und insbesondere für Kinder und Jugendliche, die auf der Suche nach Orientierung sind, ist das eine Gefahr.

Zur Person: Dr. Britta Schellenberg ist Rechtsextremismus- Expertin und  Lehrbeauftragte am Geschwister-Scholl- Institut für Politikwissenschaft der LMU München.

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