Sicherheitskonferenz in München: Friedenssuche vorläufig auf Eis gelegt

China gibt sich bei der Sicherheitskonferenz in München als bissiger Friedensengel. US-Vizepräsidentin Kamala Harris versichert den Europäern Rückhalt.
von  Ralf Müller
Chinas oberster Außenpolitiker Wang Yi (l.) und Bundeskanzler Olaf Scholz trafen sich am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz.
Chinas oberster Außenpolitiker Wang Yi (l.) und Bundeskanzler Olaf Scholz trafen sich am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz. © Thomas Kienzle/AFP POOL/dpa

München - Wer gehofft hatte, auf der Münchner Sicherheitskonferenz wenigstens von chinesischer Seite ein wenig Ausgleichendes in der gegenwärtig angespannten Weltlage zu hören, sah sich enttäuscht.

Wang Yi, Vorsitzender des außenpolitischen Komitees der chinesischen Staatsführung, gab in seinem Statement am Samstag zunächst den Friedensstifter und kündete einen Vorschlag zur Beendigung des Krieges in der Ukraine an. Andererseits machte er auf Nachfrage deutlich, dass die Kriegsgefahr um Taiwan alles andere als gebannt ist. Und auch gegenüber den USA fand der Diplomat, dessen Stellung der eines Ober-Außenministers entspricht, nur harsche Töne.

Yi machte deutlich, welche Argumentationslinie sich Peking zurechtgelegt hat, um sich einerseits vom russischen Angriff auf die Ukraine indirekt zu distanzieren, andererseits Taiwan aber weiterhin zu bedrohen. Kein Land sei sicher in einer Welt, in dem ein Land die Souveränität und Integrität eines anderen verletzen und Verbrechen straffrei begehen könne, formulierte Yi seine Position, die man durchaus als Verurteilung des russischen Angriffs interpretieren konnte.

Chinas Yi vermeidet jede Kritik an Russland

Taiwan freilich ist aus der Sicht Pekings Bestandteil der Volksrepublik und die Regierung dort eine Separatistenveranstaltung. Folglich wäre jede Unterstützung der demokratisch gewählten taiwanesischen Regierung und ein Infragestellen der "Ein-China-Politik" ein Angriff auf die territoriale Integrität Chinas.

Im Falle der Ukraine vermied Yi weiterhin jede Kritik an Russland, bot sich aber als Friedensstifter an. Um den Pfad von "Frieden, Entwicklung und Zusammenarbeit", den laut Yi sein Land in den letzten 70 Jahren nie verlassen habe, weiterzugehen, werde Peking bald ein Konzept für "Friedensgespräche" zur Beilegung des Kriegs in Osteuropa vorlegen, kündigte der Diplomat an. Details verriet Yi nicht.

Auf Fragen nach der Affäre um den mutmaßlichen chinesischen Spionageballon über den USA bewegte sich der Chinese um keinen Millimeter und setzte Washington für den Abschuss und seine "hysterische Reaktion" auf die Anklagebank. Derartige "absurden Handlungen" seien Teil einer "Schmutzkampagne" der USA gegen sein Land, wetterte Yi.

Harris: "Kiew steht noch, Russland ist geschwächt"

US-Vizepräsidentin Kamala Harris, die wenige Stunden nach Yi ans Rednerpult der 59. Münchener Sicherheitskonferenz trat, ging auf die Ballon-Affäre mit keinem Wort ein, was auch dahingehend gedeutet wurde, dass die USA etwas die Luft aus dieser Affäre lassen wollten.

Der Auftritt der Stellvertreterin von US-Präsident Joe Biden war nicht darauf angelegt, große Neuigkeiten zu verkünden, sondern den europäischen Verbündeten den weiteren Rückhalt der Supermacht bei ihrem Widerstand gegen den russischen Imperialismus zu versichern. Bisher war das ein Erfolg, hob Harris hervor: "Kiew steht noch, Russland ist geschwächt." Der Selbstvergewisserung diente wohl auch die Anwesenheit zahlreicher Mitglieder von US-Senat und -Repräsentantenhaus in München. Es war die größte US-Delegation, welche die Münchener Sicherheitskonferenz je gesehen hatte.

Kamala Harris, Vizepräsidentin der USA: "Ich sage allen, die diese Verbrechen begangen haben, und ihren Vorgesetzten, die an diesen Verbrechen mitschuldig sind: Sie werden zur Rechenschaft gezogen."
Kamala Harris, Vizepräsidentin der USA: "Ich sage allen, die diese Verbrechen begangen haben, und ihren Vorgesetzten, die an diesen Verbrechen mitschuldig sind: Sie werden zur Rechenschaft gezogen." © Sven Hoppe/dpa

Dabei ließ Harris erkennen, dass trotz der innenpolitischen Verfeindungen zwischen Demokraten und Republikanern es die USA an der Unterstützung der Ukraine "so lange es notwendig ist" nicht fehlen lassen würden. "Es ist zuviel, was auf dem Spiel steht", sagte Harris und an die Europäer und Ukrainer gerichtet: "Wir sind stolz, Ihr Partner in Ihrem Streben zu sein."

Die frühere Staatsanwältin widmete einen beachtlichen Teil ihrer Rede den russischen Verbrechen in der Ukraine. Es bestehe kein Zweifel, dass viele Verstöße gegen die Menschlichkeit vorlägen, so die Vizepräsidentin: "Der Gerechtigkeit muss Genüge getan werden."

Stoltenberg beschreibt im Sieg Putins "das größte Risiko"

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wandte sich an diejenigen auch und gerade in Deutschland hörbaren Europäer, die einen dritten Weltkrieg als Folge einer Eskalation des Ukraine-Konflikts befürchten. "Es gibt keine risikofreien Optionen", so der Norweger. Das größte Risiko bestehe darin, dass Kreml-Chef Wladimir Putin gewinne. Stoltenberg nahm dabei auch das autoritäre Regime in Peking ins Visier. Dort sehe man genau hin, welchen Preis Russland für seinen Überfall zahlen müsse und ob sich ein solches Vorgehen auszahle. "Was heute in Russland passiert, könnte sich morgen in Asien ereignen", warnte Stoltenberg: "Wir sollten die gleichen Fehler mit China und anderen autoritären Regimes vermeiden."

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, nimmt per Videoschalte an der Sicherheitskonferenz teil.
Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, nimmt per Videoschalte an der Sicherheitskonferenz teil. © Felix Hörhager/dpa

Engen Schulterschluss demonstrierten am Samstagnachmittag die Außenminister Deutschlands, der USA und der Ukraine, Annalena Baerbock (Grüne), Antony Blinken und Dmytro Kuleba.

Kuleba zeigte sich skeptisch, ob es eine tragfähige zukünftige Lösung geben kann, solange Putin in Moskau am Ruder ist. Die Ukraine, analysierte deren Außenminister, "ist seine persönliche Obsession". Kuleba redete nicht lange herum, als er nach den Kriegszielen seines Landes gefragt wurde: "Vollständige" Wiedererlangung der Souveränität und Integrität, Schadenersatz für die angerichteten Schäden und Genugtuung für die Opfer.

Am längsten werde wohl die Umsetzung des letzten Zieles dauern, räumte Kuleba ein: "Russland muss sich ändern." Russland werde noch lange Zeit ein aggressiver Staat bleiben, weil eine aggressive Ideologie" auch in der Bevölkerung verankert sei, befürchtete der lettische Präsident Egils Levits.

Blinken: Putin ist Nato-Förderer Nummer eins

Wäre Putin rational, hätte er seine "Spezialoperation" längst beendet, legte US-Außenminister Blinken dar. Putin habe die Nato gestärkt wie kein Zweiter, für nie gesehene transatlantische Geschlossenheit und für eine Erweiterung und Verstärkung der Ostflanke der Nato gesorgt, von den vielen Toten, der Schwächung der Wirtschaft und der Isolation seines Landes abgesehen, bilanzierte Blinken.

Putin habe auch dafür gesorgt, dass Deutschland nun doch bald zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts seine Verteidigung ausgibt, wie es die Amerikaner schon seit vielen Jahren fordern. Der neue Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) versprach, "hart" am Zwei-Prozent-Ziel zu arbeiten. Am Rande der Konferenz gab er sogar zu Protokoll, er könne sich noch mehr als zwei Prozent vorstellen.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Freitag vor dem "Bayerischen Hof" in München.
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Freitag vor dem "Bayerischen Hof" in München. © Sven Hoppe/dpa

Aufmerksam wurden in München die Auftritte der Präsidenten und Regierungschefs von Ländern verfolgt, die sich besonders in der Schusslinie des russischen Diktators wähnen. Moldaus Ministerpräsidentin Maia Sandu berichtete, dass Russland gegen ihr Land schon seit Jahren einen "hybriden Krieg" führe und versuche, die Republik auch mit allen Registern der Desinformation zu destabilisieren. Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen lohnte die moldawische Kollegin demonstrativ für ihren "Mut".

Finnlands Präsident Sauli Niinistö war seine Sorge um den gemeinsam mit Schweden beantragten Beitritt zur Nato ins Gesicht geschrieben. Die Türkei und Ungarn haben anders als die restlichen 28 Staaten den Beitritt immer noch nicht ratifiziert. Nato-Generalsekretär Stoltenberg versuchte, die Skandinavier etwas zu beruhigen. Er hoffe, dass er die widerspenstigen Verbündeten bis zum Nato-Gipfel in Vilnius überzeugen könne. Im Übrigen seien Schweden und Finnland schon jetzt in die Nato-Strukturen eingebunden.

Magdalena Andersson, die ehemalige schwedische Ministerpräsidentin, (v.l.) der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson, Botschafter Christoph Heusgen, der Bayerische Ministerpräsident Markus Söder, Staatspräsident Finnland Sauli Niiniistö und die Ministerpräsidentin von Finnland Sanna Marin stehen nach ihrem Eintrag ins Gästebuch der Staatsregierung vor einem Abendessen des Bayerischen Ministerpräsidenten in der Münchner Residenz.
Magdalena Andersson, die ehemalige schwedische Ministerpräsidentin, (v.l.) der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson, Botschafter Christoph Heusgen, der Bayerische Ministerpräsident Markus Söder, Staatspräsident Finnland Sauli Niiniistö und die Ministerpräsidentin von Finnland Sanna Marin stehen nach ihrem Eintrag ins Gästebuch der Staatsregierung vor einem Abendessen des Bayerischen Ministerpräsidenten in der Münchner Residenz. © Felix Hörhager/dpa

Außenministerin Baerbock: "Neutralität ist keine Option"

Das ganze Desaster wäre nicht passiert, wenn nicht "alle zusammen" einen "großen Fehler" gemacht und stattdessen ausreichend gegen die russische Besetzung der Krim 2014 vorgegangen wären, übte Finnlands Premierministerin Sanna Marin kollektive Selbstkritik. Ihre Lehre für die Zukunft griffen auch zahlreiche andere Diskussionsteilnehmer auf: "Wir dürfen nicht so naiv sein."

Während Europa auf die Ukraine und Russland blickt wie ein Kaninchen auf die Schlange, haben die Länder anderer Kontinente andere Probleme, wurde bei einer weiteren Gesprächsrunde deutlich. Ihr Land lege den Fokus auf Problemlösung, nicht auf Schuldverteilung, erklärte die namibische Premierministerin Saara Kuugongelwa-Amadhila kühl die Enthaltung ihres Landes bei der Abstimmung über die Verteilung des russischen Angriffs in der UN-Vollversammlung. "Wir verfolgen das Ziel des totalen Friedens", so die kolumbianische Vizepräsidentin Francia Márquez.

Eine etwas kurzsichtige Position, ließ EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen durchblicken. Auch der globale Süden leide unter den Folgen von Putins Krieg wie Nahrungs- und Energiekrise sowie Inflation. Deutlicher wurde Außenministerin Baerbock: "Neutralität ist keine Option, weil man sich auf Seiten des Aggressors stellt." Wer zu einem Angriffskrieg keine Haltung einnehme, trage bei zur Zerstörung der Charta der Vereinten Nationen.

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