Sicherheitskonferenz: Die Debatte um Ägypten verleiht dem Treffen Schub

MÜNCHEN - Oft schon stand die Siko in der Kritik – als überkommene und mäßig spannende Pflichtübung. Das ist diesmal anders: Die Revolution in Arabien sorgt für Spannung.
Man könnte sogar sagen: Die Sicherheitskonferenz hat Glück gehabt. Mit der Revolution in Ägypten hat das Treffen mit seinen 350 Diplomaten, mit 60 Ministern und Staatschefs ein wirklich brennendes Thema. Die Politiker, Lobbyisten und Militärs können beweisen, dass eine hochkarätige Runde an Lösungen für eine globale Krise aktuell arbeiten kann – wenn nicht auf der großen Bühne, so doch wenigstens in den Hinterzimmern und Suiten des Bayerischen Hofs.
Es könnte aber auch nach hinten losgehen. Die Veranstaltung könnte zu dem werden, was sie zu oft war in den vergangenen Jahren: ein Forum, auf dem zweitwichtige Repräsentanten drittwichtiger Staaten für ihre heimischen TV-Kameras Statements abliefern, die nur dem eigenen Ruhme dienen.
Wolfgang Ischinger hat es nicht leicht. Zum vierten Mal leitet der 64-Jährige die Tagung, die ein massives Image-Problem plagt. Für die Hardcore-Gegner ist sie ein Treffen der Kriegstreiber, aber auch Nachdenklichere bezweifeln den Sinn von noch einer Versammlung der Elite, die sich bei Gipfeln der Nato und der EU, in Davos oder in New York bei der UN ohnehin ständig über den Weg läuft.
Doch vor dem Hintergrund der ägyptischen Ereignisse wird interessant, wie reaktionsschnell die Diplomatie auf epochale Ereignisse reagieren kann: Bundeskanzlerin Angela Merkel könnte zeigen, ob, wie und wie deutlich Deutschland abrückt von den Diktatoren der Region. US-Außenministerin Hillary Clintons Worte werden genau registriert: Wie stellt sich die Regierung Obama einen Neuanfang in Ägypten, in Jemen, vielleicht in Algerien oder Jordanien vor? Wie sieht das aus mit den 1,2 Milliarden Dollar Wirtschafts- und Militär-Hilfe, die Washington jährlich nach Kairo überweist?
Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon hat in der „Elefantenrunde“ Samstagmorgen die Gelegenheit, die Rolle der Weltgemeinschaft zu definieren. Oder bleibt die Uno wieder unwichtig am Rande?
Das gleiche Schicksal droht der EU, deren Außenbeauftragte Catherine Ashton um Profil kämpft. Der neue britische Premier David Cameron könnte Aufschluss geben, ob seine Außenpolitik an den USA orientiert bleibt wie unter Tony Blair und Gordon Brown, oder ob sie Europa mehr Gewicht verleiht.
Und von Frankreichs Außenministerin Michèle Alliot-Marie wüsste man gern, wie der Weihnachtsurlaub in Tunesien war. Damals war der Diktator Ben-Ali noch im Amt, die Ministerin flog im Jet eines Ali-Freundes kostenlos durch die Gegend. In Frankreich gibt es Rücktrittsforderungen.
Antworten darauf wird es wohl nicht geben, so wenig wie Lösungen der Dauerthemen auf der Konferenz. Afghanistans Präsident Hamid Karsai wird vor ungläubigem Publikum wieder die Fortschritte seiner Regierung bei der Bekämpfung der Korruption betonen. Auch das Thema Iran wird wohl in den Hintergrund treten.
Die eigentlichen Konferenzthemen sollten Cyberwars sein, die Möglichkeit über Internet ganze Regierungsapparate lahmzulegen, und wie die Staaten darauf reagieren können. Aktuell stellen die politische Eliten erstaunt fest, dass man übers Internet auch Revolutionen anzetteln kann.
Auch nicht weit vom aktuellen Thema entfernt ist der zweite Konferenz-Schwerpunkt. Die „Auswirkung der Wirtschaftskrise auf die globale Sicherheit“ sind auch auf dem Tahrir-Platz in Kairo zu besichtigen. Neben der Perspektivlosigkeit und der Arbeitslosigkeit treiben explodierende Lebensmittelpreise die Leute auf die Straße. Und die sind unter anderem Folge der Spekulation an den Rohstoffmärkten.
In der aktuellen Krise mahnt Tagungsleiter Ischinger vor hohen Erwartungen: „In der realen Welt fangen nach dem Abgang eines Regimes die Probleme ja häufig erst an“, sagte er. „Mit Patentrezepten oder Parolen kommt man nicht weiter.“
Der Westen wolle sich nicht einmischen, aber Europa sei aufgrund seiner Geschichte zum Handeln berufen. „Der Übergang ins Neue darf nicht noch einmal um ein halbes Jahr verschoben werden. Der muss jetzt anfangen, sonst geht das mit dem Blutvergießen weiter.“
Matthias Maus