Sexueller Missbrauch: Nur schleppende Aufarbeitung
Die Odenwaldschule, das Canisius-Kolleg und viele andere: Sexueller Missbrauch in kirchlichen, staatlichen und privaten Einrichtungen wird seit Jahren offengelegt. Doch weit gekommen ist die Aufarbeitung des Skandals noch nicht.
Berlin - Fünf Jahre nach dem Bekanntwerden zahlreicher Fälle von sexuellem Missbrauch an Schulen und kirchlichen Einrichtungen kommt die Aufarbeitung des Skandals nur schleppend voran. Das kritisierte der Unabhängige Beauftragte Johannes-Wilhelm Rörig am Montag in Berlin. Hoffnungen richtet Rörig nun auf eine Kommission, die 2016 tätig werden soll. Ein entsprechender Vorschlag von Union und SPD wird am Freitag im Bundestag beraten.
Betroffene zogen auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin eine zum Teil vernichtende Zwischenbilanz der bisherigen Aufarbeitung. "Es wird nur das eingestanden, was nachgewiesen ist", sagte Anselm Kohn, Sprecher der Initiative Missbrauch der evangelischen Kirche in Ahrensburg. "Die Sprachlosigkeit der Verantwortlichen macht uns fassungslos", sagte Adrian Koerfer vom Verein "Glasbrechen" über die Odenwaldschule. Sein Fazit: "Wir sind noch nicht sehr weit gekommen."
Das lange Vertuschen des Skandals durch die katholische Kirche nannte Mattthias Katsch, Betroffener am Berliner Canisius-Kolleg, das "zweite Verbrechen" des Skandals. Klaus Mertes, der frühere Rektor des Canisius-Kollegs, der den Skandal mit aufdecken half, beklagte: "Deutsche Bischöfe weigern sich bis heute, sich mit Missbrauchsopfern an einen Tisch zu setzen."
Die vom sexuellen Missbrauch Betroffenen fordern weiterhin angemessene Entschädigungen. Die von der katholischen Kirche angebotene "Anerkennungsleistung" bis zu 5000 Euro wird als völlig unzureichend kritisiert. In anderen Ländern wie Irland, den Niederlanden oder Portugal habe es Zahlungen bis 60 000 Euro gegeben.
In Deutschland werden Schätzungen zufolge rund 100 000 Mädchen und Jungen pro Jahr sexuell missbraucht. Als Haupttatort gilt die Familie. "Die Gewalt innerhalb der Familie wird immer noch ausgeblendet, kritisierte die Erziehungswissenschaftlerin Prof. Sabine Andresen.