Seit 10 Jahren Chefin der CDU: Vom Mädchen zur Mutti

Während des Spendenskandals rückte Bundeskanzlerin Angela Merkel von Kohl ab und ging auf Kurs nach ganz oben. Für die einen ist die 55-jährige führungsschwach, für die anderen machbewusst.
Als sie am 10. April 2000 in Essen von 95,9 Prozent der Delegierten zur Parteichefin gewählt wurde, dankte Bundeskanzlerin Angela Merkel für die Unterstützung und fügte hinzu: „Ich hoffe, sie hält eine Weile.“ Diese Weile als CDU-Chefin dauert nun schon zehn Jahre, fast fünf davon ist sie auch Bundeskanzlerin.
Eine Karriere, in der sie eine sehr sichtbare Wandlung hingelegt hat, von Kohls „Mädchen“ zur „Mutti“, wie sie heute in der Union genannt wird. Den Grundstein für ihren Aufstieg in die Parteispitze legt Merkel 1999, als sie im Spendenskandal öffentlich von ihrem ehemaligen Mentor Kohl abrückt. „Ein Wort zu halten und dies über Recht und Gesetz zu stellen, mag vielleicht bei einem rechtmäßigen Vorgang noch verstanden werden, nicht aber bei einem rechtswidrigen Vorgang.“ Merkel wurde zum Inbegriff des Neuanfangs.
Hinter sich gelassen hat sie eine Reihe von Widersachern, unter anderem Edmund Stoiber, dem sie noch 2002 den Vortritt bei der Kanzlerwahl hatte lassen müssen, oder Ex- Fraktionschef FriedrichMerz. Manche halten ihr vor, sie vernachlässige den konservativen Flügel der CDU, auch wird ihr Führungsschwäche vorgeworfen. Doch sie sitzt fest im Sattel. Wegbegleiter sagen, sie verfolge „die Erledigung der Angelegenheit durch Erschöpfung des anderen“. Die 55-Jährige verteidigt ihren Führungsstil: „Wenn ich bei zehn Themen von Beginn an die Lösung vorgeben würde, hätte ich weder unsere demokratische Ordnung noch das Wesen der CDU verstanden.“ Andere sagen Aussitzen dazu. Die AZ fragte Wegbegleiter und Kritiker.
bö, janc, jox, lo, ta
Was Prominenten über Bundeskanzlerin Angela Merkel sagen
„Sie verspielt das Vertrauen“
Barbara Dickmann, Journalisten: „Ich war froh, dass mit Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Frau an die Spitze kam, von der ich annahm, dass sie die Erwartungen erfüllt. Sie ist eine kluge, reflektierte Person, sie hat sich nie so eitel in den Vordergrund gestellt wie Gerhard Schröder, und ich finde auch, dass sie in der großen Koalition einen guten Job gemacht hat.
Aber zurzeit verspielt sie das Vertrauen. Wir alle haben das Recht, zu erfahren, was sie vorhat! Aber Merkel denkt offenbar, wenn sie nichts macht, macht sie auch keinen Fehler. Sie zeigt sich nicht von ihrer besten Seite, sie zeigt sich von gar keiner Seite. Merkel kam mit Steinmeier gut zurecht, sie ist im Grunde mehr Sozialdemokratin als Konservative. Jetzt hat sie ein Kabinett um sich, das zum Großteil kein Profil hat. Und bei dem lauten profilsüchtigen Westerwelle schaut sie aus einer Entfernung zu, die sie sichmeiner Meinung nach nicht leisten kann. Ich kann nur hoffen, dass sie nach der NRW-Wahl im Mai aus ihrer Lethargie erwacht und ihre Aufgaben erfüllt – denn das sind schwierige Aufgaben, und wir brauchen politische Führung.“
„Mehr Kurs und klare Kante!“
Grünen-Chefin Claudia Roth: „Liebe Bundeskanzlerin Angela Merkel, meine Glückwünsche und von Herzen alles Gute zum zehnjährigen Dienstjubiläum! Es ist schon eine beeindruckende Leistung, wie Sie in diesem männerbündischen Verein den Spitzenplatz erobert und verteidigt haben. Dabei haben Sie Ihren eitlen Ministerpräsidenten immer wieder deutlich gezeigt, wo der Hammer hängt – und wer ihn hält. Da können sich die Frauen in der Schwesterpartei CSU noch was abgucken.
So lange eine Partei zu führen, die seit Jahrzehnten mächtige politische Kraft imBund, in Ländern und in den meisten Gemeinden ist und wesentlichmitverantwortlich an der Bildungsmisere, an der Zubetonierung der Landschaft, an einer Energiepolitik ohne Zukunft, an der Umverteilung von unten nach oben und der Blockadepolitik im Integrations- und Einwanderungsbereich, ist im Zeitalter von Globalisierung und demokratischer Weiterentwicklung sicherlich eine enorme Last. Ich bedaure, dass von der einstigen Klima-Queen auf den roten Teppichen der Weltpolitik nichts mehr geblieben ist. Mehr Kurs und klare Kante und weniger Lobby-Interessen, das wär’ doch was für die nächsten Jahre.“
„Phrasenweise beeindruckend“
Kabarettistin Simone Solga ist als „Kanzlersouffleuse“ immer ganz nah dran an Bundeskanzlerin Angela Merkel, ihr aktuelles Programm heißt „Bei Merkels unterm Sofa“. In der AZ reflektiert sie ihren Job als Angie-Flüsterin: „Frau Kanzlerin, gibt es Stress mit ihrem Koalitionspartner Westerwelle? ,Da würde ich eine eventuelle Bejahung nicht verneinen.’ Ganz ehrlich: Ich genieße meine Arbeit bei Frau Merkel. Ich flüstere ihr ein, was sie bei einer Rede sagen möchte, was sie bei einer Talkshow sagen muss, was sie spontan im Gesprächmit Sarkozy kaum zu denken wagt. Ein aufregender Job. Phrasenweise beeindruckend inhaltslos.
Ich bin Souffleuse, Vertraute, Mädchen für alles. Manchmal auch ihr Bodyguard. Wir reisen viel, tauschen Rezepte aus, wandern auch schon mal zusammen durch die Sumpfgebiete der Uckermark, lästern über Parteikollegen und sitzen viel. Viel aus. In allem keine Eile. Daran kann man sich gewöhnen. Da weiß man, was man hat. Ich hoffe auf weitere zehn Jahre anMerkels Seite. Und sollte es dochmal. . . wider Erwarten. . . irgendwann. . . einen neuen Kanzler geben, kann der sich gerne bei mir bewerben. Das werd ich aber meiner Chefin vorerst nicht sagen. Klar. Das sitz ich aus.“
„Sie will keine Extrabehandlung“
Star-Friseur Udo Walz gilt als verantwortlich für Merkels Frisur-Revolution im Jahr 2005: „Ichmuss gestehen, ich bin ein riesiger Fan von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das sage ich jetzt nicht, weil sie zu mir ins Studio kommt und sich von mir die Haare schneiden lässt. Ich finde, sie vertritt uns ganz wunderbar im Ausland, und ichmag ihren kühlen Charme und ihren hintergründigen Humor. Ich freue mich immer, wenn sie zu mir kommt, und ich kann verstehen, dass die Leute gerne wissen möchten, wie oft das ist und wie ich ihr die Haare schneide.
Aber ich sage so was nicht, da ich weiß, dass sie es nicht möchte. Nachdem sie das erste Mal bei mir war, wurde sie gleich auf der Straße fotografiert – am nächsten Tag waren die Bilder in allen Zeitungen. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird aber nicht anders behandelt als meine anderen Kunden. Sie will auch keine Extrabehandlung. Ihr Büro ruft an, dann suchen wir einen Termin. Wenn sie dann kommt, kümmert sich derjenige von meinem Team um sie, der gerade Zeit hat. Ich schaue am Ende aber immer drüber und begutachte das Ergebnis. Das bin ich ihr schon schuldig.“
„Bescheiden und zurückhaltend“
Theo Waigel, der frühere CSU-Vorsitzende und Bundesfinanzminister, kennt Bundeskanzlerin Angela Merkel seit der Wende und war sieben Jahre lang, bis 1998, ihr Ministerkollege im schwarz-gelben Kabinett Helmut Kohl: „Sie hat eine unglaubliche Leistung hingelegt, wenn ichmir vorstelle, wie sie vor 20 Jahren als stellvertretende Pressesprecherin von Lothar de Maizière die Pressekonferenz zur Einführung der D-Mark in Ostberlin am 1. Juli 1990 geleitet hat. Da waren der Finanzminister der damaligen DDR, Walter Romberg, sie und ich. Wir standen einer Meute von 200 Journalisten aus aller Welt gegenüber.
Bundeskanzlerin Angela Merkel war damals eine schüchterne, bescheidene, junge Dame, die sehr große Ehrfurcht hatte vor dem, was da gerade geschah, sie wirkte sehr zurückhaltend. Welch weiten Weg diese Frau die ersten zehn Jahre und auch die zweiten zehn Jahre ihrer politischen Karriere gegangen ist, habe ich als Politiker in meiner gesamten Laufbahn bei niemand anderem so erlebt. Es ist eine imponierende Leistung des Lernens, des Auftretens und der Selbstsicherheit, die sie in dieser Zeit gemacht hat.“