Seehofers bitterer Tag: Daheim bröckelt seine Macht

Staatssekretär Weiß wirft hin: Während der CSU-Chef in Berlin die Muskeln spielen lassen will, bröckelt daheim seine Macht. Sogar eine China- Reise sagt er aus Furcht vor einer Rebellion ab
von  Abendzeitung
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Staatssekretär Weiß wirft hin: Während der CSU-Chef in Berlin die Muskeln spielen lassen will, bröckelt daheim seine Macht. Sogar eine China- Reise sagt er aus Furcht vor einer Rebellion ab

MÜNCHEN Das gab es in Bayern noch nie: Ein Mitglied der Staatsregierung wirft hin, weil es keinen Bock mehr auf seinen Chef und dessen Wackelpolitik hat. Gestern bat Innenstaatssekretär Bernd Weiß (41) Ministerpräsident Horst Seehofer um seine Entlassung. Um 13.30 Uhr traten sie in der Staatskanzlei gemeinsam vor die Kameras. Viel zu sagen hatten sich die beiden nicht mehr.

„Wenn ich im Kabinett bliebe, könnte ich meine Meinung nicht mehr vertreten, ohne dem Ministerpräsidenten ständig zu widersprechen“, erklärte Weiß mit zitternder Stimme. „Oder ich müsste meine Meinung grundlegend ändern. Und das tue ich nicht.“ Er wolle nicht die „personifizierte Opposition“ im Kabinett sein. Seehofer erklärte kühl: „Ich respektiere die Entscheidung.“

Für den CSU-Chef sind das ganz bittere Tage – ausgerechnet jetzt, zum Auftakt der Koalitionsverhandlungen in Berlin. Während er dort als CSU-Chef die Muskeln spielen lassen will, bröckeln daheim seine Macht und Autorität.

Auslöser für den Streit ist der Digitalfunk. Ausgerechnet Bayern als Hightech-Land bringt die Umstellung auf die moderne abhörsichere Technik für Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste als einziges Bundesland nicht auf die Reihe. Innenstaatssekretär Weiß hatte mühsam einen Kompromiss mit den Kommunen ausgehandelt: Sie zahlen die Anschaffung der Geräte, der Freistaat übernimmt die Betriebskosten. Weiß wehmütig: „Das war mein Baby.“ Seehofer aber ließ den Kompromiss platzen.

In einem Brief hatte Weiß gnadenlos mit ihm abgerechnet, ihm unkollegialen Umgang und fehlende Glaubwürdigkeit vorgeworfen. Noch am Dienstagabend hatten unterfränkische Parteifreunde Weiß bearbeitet, im Amt zu bleiben. „Ich habe nicht sehr gut geschlafen“, gesteht der 41-Jährige sichtlich blass. Am Morgen sei er dann ganz normal in sein Büro im Innenministerium gefahren, habe Termine wahrgenommen und „so gegen 10.30 Uhr seine endgültige Entscheidung“ getroffen: „Da habe ich dann meinen Rücktrittsbrief geschrieben.“

Der standhafte Unterfranke, der jetzt in der Fraktion als das „aufrechte Gewissen“ gilt, kann es sich leisten. In Schweinfurt betreibt der Jurist ein lukratives Notariat, in das er jetzt zurückkehrt.

Seehofer muss sich nun einen Ersatzmann suchen – und um seine Ämter kämpfen. Seine geplante China-Reise Anfang November nach Unterzeichnung des Koalitionsvertrags sagte er jetzt ab. Offensichtlich fürchtet der CSU-Chef, dass die Partei in seiner Abwesenheit rebellieren könnte und er bei der Rückkehr nicht mehr im Amt ist.

Während Seehofer und Weiß noch die Scheidungsvereinbarung in der Staatskanzlei trafen, versammelte sich die CSU-Fraktion bereits im Landtag, um das Wahl-Debakel zu analysieren. „Eine offene, knallharte Analyse“ kündigte Fraktionschef Georg Schmid an. „Dem Letzten ist mittlerweile klar, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann.“

Nur Seehofer sah das offensichtlich noch anders. Bevor er von seiner Staatskanzlei in die Fraktions-Sitzung eilte, beschwichtigte er: „Das wird halb so schlimm.“

Denn Seehofer hatte schon eine Strategie: Durch lange Reden über Weiß’ Rücktritt und die Koalitionsverhandlungen wollte er die aufgeregten Gemüter abkühlen und einlullen. Zuvor hatte er unter den Abgeordneten schon verbreiten lassen, dass man jetzt während der Koalitionsverhandlungen in Berlin wohl am allerwenigsten eine Nabelschau daheim in Bayern gebrauchen könne. Angela Böhm

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