"Seehofer wird wieder Chef"
AZ: Herr Oberreuter, am Donnerstag gab es jede Menge Irritationen, weil in der CSU entgegen den Erwartungen doch keine personelle Klarheit geschaffen wurde. Ein Zufallsprodukt oder geplant?
HEINRICH OBERREUTER: Ich hatte den Eindruck, dass unterschiedliche Begriffe von Klarheit im Spiel waren. Diejenigen, die schon die ganze Zeit auf die Inszenierung des Söder-Lagers reingefallen waren, dachten, sie bekämen eine Antwort in Personalfragen. Seehofer hat aber eine Klarheit in Verfahrensfragen erteilt, wobei auch das relativ schleierhaft ist.
Und der Rat der Weisen?
Der ist ein Instrument, um unterschiedlichen personellen Konzeptionen Raum zu lassen. Wir wissen heute nicht mehr als vorher – nur, dass sich Seehofer das Heft des Handelns nicht nehmen lässt.
Ist es denkbar, dass sich am Ende nichts an der CSU-Spitze ändert?
Was ist eine erwartbare Änderung? Mancher hält es schon für ein Hinausschieben von Veränderung, wenn Seehofer 2018 nicht mehr als Spitzenkandidat antreten sollte. Ich meine, dass es schon eine Änderung wäre, sollte er einen solchen Verzicht bekannt geben. Ich würde dies auch für nachvollziehbar halten, weil der Ministerpräsident genau weiß, dass 2018 kein überwältigendes Wahlergebnis zu erwarten ist. Dann wäre er es nicht gewesen.
Seehofer hat für den Donnerstagabend in Aussicht gestellt, es werde "alles klar" sein.
Eine interessante semantische Variabilität. Er hat Klarheit in Zielrichtung und Verfahren angeboten. Es gehört zum Seehofer-Stil, dass der Aussagende und die Zuhörenden unter denselben Worten etwas anderes verstehen können.
Er hatte auch angekündigt, er werde deutliche Worte zu den zerstörerischen Aktivitäten in der CSU finden. Nichts davon fand statt. Ist die zur Schau gestellte Harmonie ein Zeichen großer Angst?
Diese Angst ist deutlich spürbar. Ich hätte auch erwartet, dass Seehofer ein paar Bemerkungen kämpferischer Natur zu dem Stil macht, den Boss in Berlin die Kastanien aus dem Feuer holen zu lassen und ihm daheim Feuer unter die Hose zu legen. Wenn es zutrifft, dass er mit Söder geredet hat, müssten beide verabredet haben, konflikthafte Inszenierungen zu unterlassen. Das wäre für die CSU das schlimmste Szenario gewesen, denn der Außeneindruck ist ja eh schon verheerend. Nachdem in der CSU in der Nachkriegszeit die Kämpfe zwischen Schäffer, Hundhammer und Ochsensepp tobten, hat es ein solches Szenario nicht mehr gegeben.
Zu Zeiten von Waigel und Stoiber vielleicht.
Es gab zwischen Waigel und Stoiber Auseinandersetzungen, aber nicht mit dieser Härte. Der Stil der vergangenen 14 Tage hat seine Parallelen nur in der Gründungszeit der CSU.
Es wird also noch schlimmer als bei Stoiber und Waigel?
Ich bin nicht sicher, ob Seehofer, wenn er Vorsitzender bleibt, auch ein Amt in einer Bundesregierung anstrebt. Er kann genauso gut Parteivorsitzender ohne ein Ministeramt sein.
Und in Bayern?
Jede Ämterteilung hat kurzfristig eine befriedende Wirkung. Jedoch kann man die Führungsfunktionen von Partei und Regierung nicht dauerhaft trennen, weil ein Parteivorsitzender zwangsläufig einem Regierungschef hineinredet.
Was ist die einzige Strategie, um Konflikte zu vermeiden?
Seehofer müsste sein O.k. zu einem Ministerpräsidenten Söder geben und erklären, er werde in absehbarer Zeit auch als Parteichef zurücktreten, wenn in Berlin die schwierige Situation überwunden ist.
Seehofer will eine "befriedende Lösung". Lässt sich sowas vorstellen, ohne dass Söder Ministerpräsident wird?
Die naheliegende Interpretation von vergangenem Donnerstag ist: Markus Söder wird befriedigt und befriedet. Eine andere geht dahin, dass möglichst viele Leute in eine Konsensbildung einbezogen werden. Deren Vorschlag ist dann das Konzept. Und wenn der Rat der Weisen abgestimmt mit anderen Entscheidungsträgern ein Konzept erarbeitet, in dem alle möglichen Interessen befriedigt werden, nur die unmittelbaren Interessen von Söder nicht, hätte dieser den Schwarzen Peter, wenn er dagegen vorgeht.
Söder hat also das Amt des Ministerpräsidenten noch längst nicht in der Tasche?
Nein. Davon kann man nicht ausgehen, aber es gibt eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass es in diese Richtung geht.
Nimmt das Publikum das Geschehen in der CSU als verantwortungsvolle Politik oder Herumgeeiere wahr?
Mit Sicherheit als Herumeiern und als nach wie vor schwebende innere Auseinandersetzung, die das Außenbild der CSU beeinträchtigt.
Wenn Seehofer an der vermuteten Niederlage der CSU bei der Landtagswahl 2018 nicht schuld sein will, müsste er nicht das Amt des Ministerpräsidenten gleich aufgeben?
Wenn er mit den Verlusten nicht identifiziert werden will, wird er auf alle Fälle als Ministerpräsidentenkandidat nicht mehr antreten. Es wäre andererseits auch affig, zehn Monate vor der Wahl noch einmal die Kostüme zu wechseln, aber auch das ist denkbar. Ein anderer Spitzenkandidat wird nach der Wahl und ihrem erwartbaren Ergebnis immer sagen, ein erheblicher Teil des schlechten Ergebnisses geht auf das Konto des Vorgängers.
Wen wird die CSU auf ihrem Parteitag Mitte Dezember zum Vorsitzenden wählen?
Horst Seehofer.
AZ-Umfrage: Seehofer lässt sich Zeit – was Münchner denken
Sibylle Bahlmann (37), Sachbearbeiterin: "Ich denke, dass das schon alte und eingefahrene Strukturen sind und die brauchen einfach mal frischen Wind. Solange sich da nichts ändert, wird das zäh bleiben."
Anja Klein (44), Computerlinguistin: "Wenn es nach mir ginge, sollten die alle zurücktreten, sowohl Seehofer als auch Merkel. Die haben ihren Zenit überschritten. Es kommen keine vernünftigen Lösungen mehr raus."
Uschi Ballduss (58), Betriebswirtin: "Ich finde es gut, dass Seehofer sich Zeit nimmt für die Entscheidung, dass er das mit Söder in Ruhe besprechen will. Die beiden erwecken den Eindruck, dass sie das Ganze friedlich lösen wollen."
Helga Kretschmann (70), Rentnerin: "Mir war das klar, dass Seehofer diese Personalentscheidung hinauszögern wird. Er will Zeit gewinnen. Hoffen wir mal, dass es gut ausgeht."
Umfrage und Fotos: Sven Geißelhardt