Seehofer und Gauweiler: Die Unberechenbaren
Horst Seehofer als Chef, Peter Gauweiler als Aufpasser – viele CSU-Delegierte versprechen sich davon eine Rückkehr ihrer Partei zur alten Stärke
Sagen lassen haben sie sich noch nie etwas. Getan haben sie immer, was sie wollten. Zwei Einzelkämpfer wie aus dem Bilderbuch. Wenn die Christsozialen an diesem Samstag ihrem Partei-Chef Horst Seehofer den Partei-Rebellen Peter Gauweiler tatsächlich zur Seite stellen, wird an der CSU-Spitze aus dem Einmann-Chor ein Zweimann-Chor. Der garantiert 100 spannende und unterhaltsame Wochen bis zur Bundes- und Landtagswahl 2013. Und das in jeder Hinsicht. Denn kaum jemand in der CSU geht davon aus, dass die beiden den gleichen Ton angeben werden. „Einen Unberechenbaren haben wir ja schon. Dann sind’s halt zwei”, zeigt ein Kabinettsmitglied schon Galgenhumor.
In ihrer Angst, nach 57 Jahren auf dem Bayern-Thron in der Opposition zu landen, greift die CSU nach jedem Strohhalm. Eine regelrechte Euphorie hat Euro-Skeptiker Gauweiler an der Parteibasis ausgelöst. „Der macht uns die Bierzelte wieder voll”, jubeln Ortsvorsitzende.
Sie malen sich schon in den schönsten Farben aus, wie mit dem „Schwarzen Peter” wieder ein richtiger Bayer und Patriot, ein Konservativer in Lederhosen und Wadlstrümpf auf der Bühne steht und im Originalton Süd Klartext redet. Als Reinkarnation des Heimatdichters Ludwig Thoma, der mit seinem fiktiven Abgeordneten „Jozef Filser” berühmt wurde und kompromisslos die Schwächen und Dummheiten der Politik angeprangert hat. Volkstheater vom Feinsten. Das kann Gauweiler wie kein anderer. Thoma hat er seit Jahrzehnten mit Haut und Haar studiert.
Die Strategen in der CSU setzen mehr auf die Talkshows im deutschen Fernsehen. „Wer sitzt denn am Sonntagabend von uns noch dabei?”, fragt einer aus dem Parteivorstand und beantwortet die Frage gleich selber. „Der Gauweiler bringt uns wieder in diese Talk-Runden, so dass die CSU wieder wahrgenommen und gehört wird.”
Allein der Gedanke daran aber lässt viele erschaudern. Aus dem Fernsehen werde man dann erfahren, was die CSU will. Oder besser: Was Gauweiler will. Markus Ferber, Anführer der Schwaben-CSU und Chef der Europa-Abgeordneten, macht aus seiner Meinung keinen Hehl: „Wenn er meint, er kann alles alleine in Talkshows und Zeitungskolumnen machen, dann werden wir ihm zeigen, dass wir, die wir nach seiner Meinung Zwerge sind, unsere Meinung auch sagen können.”
Heißt das CSU-Erfolgsrezept für die Wahl 2013 also: Jeder macht und sagt, was er will? Alte Partei-Haudegen finden an dem Gedanken sogar Gefallen. „In der Zeit, wo wir unberechenbar waren, waren wir immer am besten”, erklärt einer, der noch an der Seite von Franz Josef Strauß stand. Wenn es Flügelkämpfe gab, sei es der CSU nie schlecht gegangen. Vielstimmigkeit habe sie immer weitergebracht. Damit habe man alle Wähler abdecken können. Leben soll Gauweiler wieder in die CSU-Bude bringen, für Farbe bei den Schwarzen sorgen. Parteichef Horst Seehofer traut das offensichtlich niemand mehr zu. „Graue Mäuse haben wir genug”, sagt ein Delegierter.
Gauweiler als Kontrapunkt zum Parteichef, der Seehofer auch mal in die Schranken weist? Das würde vielen Landtags- und Bundestagsabgeordneten gefallen. Denn von den Fraktionschefs im Maximilianeum und im Reichstag ist kaum was zu hören. Der Vorsitzende der Landtagsriege, Georg Schmid, hat sich Seehofer unterworfen. Berlin-Chefin Gerda Hasselfeldt schlägt nur leise Töne an.
Bis zur Wahl Gauweilers am morgigen Samstag aber wird es noch richtig aufregend. Heute, beim Auftakt des Parteitages, geht’s gleich um das Lieblingsthema des „Schwarzen Peter”. Die Delegierten müssen ein Europapapier verabschieden. Dessen Formulierung war heiß umstritten. Am Ende soll nämlich jeder das herauslesen können, was er will: die Euro-Skeptiker und auch die Euro-Verteidiger. Ein Papier für alle Fälle. In dem die CSU gegen weitere Rettungsschirme für Griechenland ist, aber auch das Hintertürl offen bleibt, in Berlin noch ein „letztes” und ein „allerletztes Mal” weitere Rettungsaktionen der Kanzlerin mitzutragen.
Für Gauweiler ist das eine heikle Situation. Bei der Euro-Diskussion hält er gleich seine Bewerbungsrede. Zu radikal aber darf die nicht ausfallen. Das könnte ihm Stimmen bei den Delegierten kosten. Vor allem bei den wirtschaftsfreundlichen. Seine Anti-Parolen kommen zwar bei den Stammtischen an, nicht aber bei den bayerischen Unternehmern.
Die nehmen sich CSU-Vertreter schon unter vier Augen zur Brust und warnen, ob die Partei überhaupt noch wisse, dass der Freistaat das Wirtschaftskernland der Republik sei und deshalb wie kein anderes Bundesland vom Export abhänge. Dabei geht’s nicht nur um BMW, Audi und Siemens. Fast in jedem Dorf produziert inzwischen ein Mittelständler für den Export. Der funktioniert aber nur mit einem stabilen Europa und Euro.
Das aber ist nicht das einzige Problem der CSU. Mit großem Pathos soll die Partei eine PKW-Maut beschließen, von der eh alle wissen, dass sie nicht kommen wird. Auch Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer. Er soll an diesem Parteitag dran glauben – vor allem als Parteivize. Gauweiler hat sich Ramsauer für sein Duell auserkoren. Keinen Finger wird Seehofer für den Müllermeister aus Traunstein rühren. Er vergisst nichts. Nach der Bundestagswahl 2005 hatte „Ramses” nämlich versucht, den damaligen CSU-Chef Stoiber davon abzubringen, Seehofer zum Minister zu machen. Seine Demütigung wäre eine schöne Revanche.
Davor aber schrecken viele Delegierte zurück. Gerade in diesen turbulenten Zeiten wollen sie den Bundesverkehrsminister nicht beschädigen. Bei einer Sammelabstimmung, in der über alle vier Vizes gleichzeitig entschieden wird, würde der mit den wenigsten Stimmen rausfallen. Das könnte dann Justizministerin Beate Merk sein. Sie ist noch unbeliebter als Ramsauer. Für die Gegner der Frauenquote vom letzten Parteitag, immerhin 40 Prozent, wäre das die Gelegenheit zur Revanche.
Seehofer hält sich aus allem raus – damit es ja nicht zu einer indirekten Abstimmung über ihn kommen kann. Dafür mischt sich sein Herausforderer Christian Ude, der heute in München mit viel Pomp von der SPD gekrönt wird, gleich lautstark ein. „Die Krise der CSU ist mit Gauweiler nicht beendet. Mit ihm geht sie erst richtig los.”