Seehofer und der Traum vom Solarexpress

Die CSU beschließt den Atomausstieg bis 2022 – Seehofer will sogar mit seiner Spielzeugeisenbahn autark werden. Die Partei murrt, aber Kanzlerin Merkel lobt ihn und fährt in seinem Zug mit
von  Angela Böhm
Springt auf auf meinen Zug: Horst Seehofer mit Kanzlerin Angela Merkel in Andechs
Springt auf auf meinen Zug: Horst Seehofer mit Kanzlerin Angela Merkel in Andechs © dapd

Die CSU beschließt den Atomausstieg bis 2022 – Seehofer will sogar mit seiner Spielzeugeisenbahn autark werden. Die Partei murrt, aber Bundeskanzlerin Angela Merkel lobt ihn und fährt in seinem Zug mit

Andechs - Erst um Mitternacht verspeist die CSU Schweinshaxen mit Kraut- und Kartoffelsalat im Kloster Andechs. Nicht nur der volle Bauch sorgt bei vielen in der Klausur des CSU-Vorstands für eine schlaflose Nacht. Nur Horst Seehofer hat einen „Wunschtraum”: Seine Spielzeugeisenbahn soll künftig als Solarexpress ganz ohne Atomstrom die Runden drehen im Keller seines Urlaubsdomizils in Schamhaupten. „Ich möchte mit meinem Ferienhaus so schnell wie möglich Selbstversorger werden”, sagt er. „Damit ich auch dieses Öl nicht mehr brauche.”
Aufs Abstellgleis wird an diesem Abend Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel geschoben. Zweieinhalb Stunden muss sie warten. Sie kommt um 20.30 Uhr zum „geselligen Abend”. Der fällt aus. Die CSU-Spitze diskutiert geschlagene sieben Stunden bis 23Uhr über den Atomausstieg. Für den Großteil der Partei-Spitze ist Seehofers Vorpreschen eher ein Alptraum.
Merkel lässt sich von Abt Johannes Eckert das Kloster zeigen, redet mit den Mönchen über Gott und die Welt. Irgendwann ist alles gesagt. In einem Nebenzimmer widmet sie sich ihrem Handy, telefoniert, schickt SMS.

Auch Seehofer tippt im Saal wie versteinert in sein Handy. Es ist ein Befehl an seine Regierungs-Armada. Minister und Staatssekretäre müssen in der Diskussion aufmarschieren und seine Ausstiegslinie verteidigen. Die Widerständler haben die Übermacht. Immer wieder geht es um die Glaubensfrage. Einer berichtet, ein Bürgermeister habe ihn angegangen: „Vor drei Monaten ist uns erzählt worden, es ist alles sicher und wir müssen um 14 Jahre verlängern, sonst bricht alles zusammen. Und jetzt wird gesagt: Es geht alles schneller als bei Rot-Grün und kostet nix. Habt’s uns früher angelogen, oder lügt’s uns jetzt an?” Seehofer schweigt.

Sein Generalsekretär Alexander Dobrindt deutet das in seinem Entwurf für den Vorstand um: Die CSU habe schon im Herbst 2010 einen Ausstieg beschlossen und den Weg in ein Zeitalter ohne Kernenergie beschrieben. „Wir ändern nicht die Richtung, sondern wir erhöhen das Tempo.” Sein Papier aber droht in Andechs zur Pleite zu werden. Zu rechthaberisch, kritisiert CSU-Verteidigungs-Staatssekretär Christian Schmidt. Er fordert stattdessen eine Blut-und Tränenstrategie. Die CSU müsse den Menschen sagen, dass der Ausstieg schwer und teuer werde und nur funktioniere, wenn die ganze Gesellschaft zusammenhalte und alle mitmachen. Verkehrsminister Peter Ramsauer verweigert: „Bei mir im Berchtesgadener Land kommt kein Windrad.”

Den CSU-Entwurf kassiert Seehofer vorsichtshalber wieder ein. Am Ende bleibt ihm nur die Machtfrage mit einem dramatischen Appell: „Vertraut mir! Wenn wir das nicht beschließen, gibt es 2013 einen Kernenergie-Wahlkampf. Den verlieren wir. Das Thema muss aus der Welt geschafft werden. Wir sind die letzte schwarze Bastion. Die muss verteidigt werden.”

Am Ende stimmen alle einem Atomausstieg bis 2022 zu. Acht enthalten sich, darunter Innenminister Hans-Peter Friedrich. „Seehofer hat die CSU gnadenlos in die Knie gezwungen und gefesselt”, sagt ein Widerständler.

Die Kanzlerin ist am nächsten Morgen versöhnlich. Lobt den „richtigen Zeitraum” und Seehofer als Vorbild für andere Bundesländer. Der CSU-Chef strahlt: „Mein Gemüt ist nach zwei anstrengenden Tagen so wie das Wetter, also sonnig.” Dann ist er wieder bei seinem Zug: „Die CSU darf nicht der letzte Waggon sein.” 

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