"Seehofer schürt Ausländerfeindlichkeit"
AZ: Herr Wawschinek, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingskrise zu spät Klartext geredet?
Georg Wawschinek: Wir haben als Kinder einen wichtigen Satz gelernt: Erst denken, dann reden. Und gerade in der Flüchtlingsfrage stehen wir vor Herausforderungen, die so groß sind, dass kaum jemand sagen kann, er weiß wie sich alles entwickelt. Wer also sofort mit einer Antwort herausdonnert, dem glaube ich in diesem Fall weniger als jemandem, der sich erst ein Bild macht. Es ist wie während der Bankenkrise: Ich habe mit Bankern und Wissenschaftlern gesprochen – die ehrlichen haben gesagt, dass sich in Wahrheit niemand mehr wirklich auskennt. Diejenigen, die Kapital daraus geschlagen haben, waren am schnellsten die lautesten.
Viele Bürger hätten sich früher eine Antwort, einen Plan von der Kanzlerin gewünscht.
Je früher man in einer Krise kommuniziert, desto besser. Gerade aufgrund der großen Herausforderung in der Flüchtlingskrise wünschen sich die Menschen Antworten. Später hätte Merkel also nicht dran sein sollen. Denn wichtig ist in einer Krise: Wenn ich nichts sage, dann muss ich klar machen, warum – bevor die Stimmung kippt.
Erst bei Anne Will hat die CDU-Chefin der Bevölkerung ihre Position deutlich offengelegt.
Aus kommunikativer Sicht war der Auftritt genau richtig. Sie hat Klartext gesprochen, eindeutig Position bezogen und ihre Beweggründe geschildert. Besonders interessant: Merkel ist sogar selbst auf die Geschichte mit dem Flüchtlingskind Reem in Rostock gekommen. Damals wurde ihr vorgeworfen, wie ausländerfeindlich und kalt sie nicht sei. Und jetzt wirft man ihr das Gegenteil vor – das zeigt die Perversion der politischen Kommunikation.
Sie sagen, wer in einer Krise Stellung bezieht, braucht eine Kernbotschaft. Hat Merkel diese?
Die hatte und hat sie ganz klar: „Wir schaffen das.“ Ich kann mir keinen klareren Kernsatz vorstellen. Sie hat genau diesen Satz immer wieder gesagt, er war ihr Hafen sozusagen. Und auf diesem Satz baut beispielhaft die gesamte weitere Argumentation und – besonders wichtig – die emotionale Argumentation auf.
CSU-Chef Horst Seehofer schlägt andere Töne an („Es sind zu viele“). Ihm wird vorgeworfen, Ausländerfeindlichkeit zu schüren. Tut er das?
Ja, das tut er. In diesem Satz kommen allein drei (!) Abstraktionen vor. „Es“, „zu“ und „viele“. Das muss man einmal schaffen. Und genau das ist der Ton, der von den Stammtischen hallt – hier wird ohne Zahlen, auf Grundlage von Annahmen mit Gefühl argumentiert. Und das tut dem kritischen, klaren Denken nie gut. Ich halte das für politisches Kleingeld, das mit der berechtigen Verunsicherung gemacht wird.
Welchen Einfluss haben solche Aussagen auf Menschen, die ohnehin auf der Kante zwischen bürgerlicher Mitte und rechtem Rand stehen?
Das ist das Gefährliche. Wir Menschen leiden unter Unklarheit. Wenn wir das Gefühl haben, unser Partner will die Beziehung beenden – aber er oder sie sagt nichts. Dieses zehrende Gefühl, der Unsicherheit. Eigenartigerweise ist dann der wirkliche Satz erleichternd. Und genau damit wird gearbeitet. Wenn jemand kompliziertere Sachverhalte seriös darstellen will, tut er sich damit immer schwerer als jemand, der einfache Dinge sagt wie „Die Grenzen zu“ – und gleichzeitig weiß, dass das gar nicht gehen kann.
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