Seehofer – Regen oder Traufe?
BERLIN - Der neue starke Mann in der CSU und Bundeskanzlerin Angela Merkel: ein nicht ganz unkompliziertes Verhältnis. Wo es für Bundeskanzlerin Angela Merkel jetzt leichter wird - und wo gerade nicht...
Bundeskanzlerin Angela Merkel und der neue starke Mann der CSU – ein höchst ambivalentes Verhältnis. Die Kanzlerin sieht den Aufstieg von Horst Seehofer mit sehr gemischten Gefühlen: eine komplizierte Abwägung aus kleineren Übeln.
Vor vier Jahren war das Verhältnis zwischen der Regierungschefin und dem eigenwilligen CSU-Mann auf dem absoluten Tiefpunkt, inklusive tiefer persönlicher Verwerfungen. Er hatte sich so vehement gegen die Kopfpauschale der Union gewehrt – und dieses so pathetisch mit Nicht-mehr-Verbiegen-Wollen wegen Nah-Tod-Erfahrung begründet –, dass es zum großen Showdown kam. Wutentbrannt warf Seehofer hin – sehr zur Freude der damaligen Fraktionschefin Merkel.
2005 dann setzte Stoiber Seehofer bei ihr als Minister durch. Begeistert war sie nicht, den politisch Totgeglaubten am Kabinettstisch wiederzufinden. Zumal sie Seehofer eigentlich zu links findet – damals jedenfalls.
Früher war er ihr zu links
Doch seither hat sich einiges geändert. Erstens ist mittlerweile auch Merkel von ihrem harschen Reformerkurs abgekommen und will die Kampagne 2009 betont auf die „Sorgen der Menschen“ abstellen. Da kommt der kühl kalkulierenden Taktikerin jemand gerade recht, der in der Union als „neunter Minister der SPD“ gilt. Vor allem jemand, der als die Antwort der Union auf Müntefering wirkt: ein Meister des Kurzsprechs (Seehofers Rezept zur Lösung der CSU-Krise: „Nachdenken. Reden. Handeln.“), ein Liebling der Bürger.
Auch das persönliche Verhältnis zwischen Merkel und Seehofer hat sich in den gemeinsamen Jahren am Kabinettstisch entspannt – auch wenn sie sich immer noch siezen. Beide haben Respekt voreinander. „Wer sie unterschätzt, hat schon verloren“, sagt Seehofer über die ostdeutsche Protestantin, die in der CSU lange belächelt worden war. Hoch rechnet er ihr auch an, dass sie bei seinen persönlichen Wirren neutral blieb und stillhielt. Die Regierungschefin wiederum, so heißt es im Kanzleramt, hat an ihrem Agrar- und Verbraucherminister die inhaltliche Arbeit schätzen gelernt, etwa, als in ihrem Wahlkreis die Vogelgrippe ausbrach oder bei schwierigen Verhandlungen in der EU.
Er sagt wenigstens, was er bescheuert findet
Vor allem hält sie ihn für halbwegs berechenbar – insofern, als er offen sagt, was er bescheuert findet (wie den Gesundheitsfonds). Sie wisse, wo er stehe. Das war bei Erwin Huber zuletzt nicht mehr so: So war man im Kanzleramt doch sehr verwundert, wie heftig er sich in die Pendlerpauschale verbissen hat. Und Huber seinerseits war enttäuscht, wie wenig Merkel ihm da entgegenkam. Im Vergleich zu Stoiber wiederum schätzt sie an Seehofer, dass er weniger zu langatmigen Vorträgen neigt und sie ihn in Berlin (jedenfalls bisher) an der kürzeren Leine hatte.
Andererseits wird im Kanzleramt auch gesehen, dass ein Seehofer unbequemer werden könnte als ein Huber. Er beherrscht die Berliner Machtspiele, er hat mehr Einfluss in der Hauptstadt – und er wird ihn angesichts der Krise der CSU auch nutzen wollen. Das billigt sie ihm zum Teil auch zu, weil sie weiß, dass sie 2009 ohne eine starke CSU nicht gewinnen kann. Aber es wird eine Gratwanderung.
Und noch komplizierter wird es nun mit der ungeklärten Frage, ob Seehofer denn in Berlin bleibt. Wird er erstmal absorbiert, weil er sich in München als Regierungschef mühsam einrichten muss? Wenn ja, wer sitzt statt seiner am Kabinettstisch – und wie stark ist der? Forschungsministerin Annette Schavan, eine Vertraute Merkels, sagt nur trocken: „Es wird nicht schlechter mit Seehofer. Nur anders.“
Anja Timmermann